Ajax 4, Bayern 0 (1973): ZEHN ERKENNTNISSE

Das erste große Duell zwischen Ajax Amsterdam und dem FC Bayern München war legendär – wegen den Namen auf dem Platz, aber auch wegen des deutlichen Ergebnisses. Wie kam das 4:0 zustande?

Der “kicker” schrieb damals vom “Super-Knüller des Jahres” – und traf den Nagel damit auf den Kopf. Als Ajax Amsterdam im Landesmeister-Viertelfinale am 7. März 1973 den FC Bayern München zum Hinspiel empfing, traf der kommende Dreifach-Champion im Landesmeister-Cup auf den unmittelbar nachfolgenden. In der ersten Hälfte der 1970er Jahre dominierten Ajax und der FCB den europäischen Fußball – wie übrigens auch ihre dazugehörigen Nationalmannschaften.

Ein Jahr vor der WM in Deutschland bildeten die Münchner Franz Beckenbauer, Gerd Müller und Co. auch einen beträchtlichen Teil des 1972 groß aufspielenden Europameisters. Auf der Gegenseite lief die Achse der 1974 begeisternden Niederländer auf, angeführt vom genialen Johan Cruyff. Im damaligen Vereinsfußball hätte es wohl kein größeres Aufeinandertreffen geben können – auch wenn Ajax der gestandene Favorit war, während den Bayern der große internationale Durchbruch noch bevorstand. Theoretisch lag vor dieser Paarung eine Wachablösung in der Luft, auch wenn den Münchnern das damals kaum einer zutraute.

Ajax Amsterdam: Stuy – Blankenburg – Suurbier, Schilcher, Krol – Neeskens, Haan, Mühren – Rep, Cruyff, Keizer.

FC Bayern München: Maier – Beckenbauer – Schwarzenbeck, Roth, Hansen – Zobel, Breitner, Hoeneß – Hoffmann, Müller, Dürnberger.

Tore: 1:0 Haan (53.), 2:0 Mühren (69.), 3:0 Haan (70.), 4:0 Cruyff (89.).

1. Kovacs, nicht Michels

Das große Ajax der frühen 1970er Jahre. Johan Cruyff auf dem Platz, der verlängerte Arm des Trainer-Genies Rinus Michels. Doch aufgepasst: Nur den ersten ihrer drei aufeinanderfolgenden Landesmeister-Titel fuhren die rochierenden Totalfußballer unter Michels ein, der 1971 zum FC Barcelona wechselte. Henkelpott Nummer zwei und drei feierte an der Seitenlinie der Rumäne Stefan Kovacs, heute weitaus weniger bekannt. Zu Unrecht.

“Unter ihm spielten wir noch besser als unter Michels. Bei Michels hatte man Angst, Fehler zu begehen, er war ein Dis­zi­plin-Fana­tiker. Kovacs hin­gegen war eine Froh­natur, er kannte die mensch­liche Unzu­läng­lich­keit und ver­zieh Fehler. Das hatte zur Folge, dass wir uns freier fühlten und die Krea­ti­vität eines Genies wie Johan Cruyff sich erst voll ent­falten konnte”, verriet Ajax’ deutscher Libero Horst Blankenburg bei “11 Freunde”.

Diese Freiheiten hatten allerdings auch eine Kehrseite, die sich schon ab 1973 – ein halbes Jahr nach den Bayern-Spielen folgte Cruyff Michels nach Barcelona – bemerkbar machte: “Kovacs war ein guter Trainer, doch er war zu nett”, erklärte Stratege Gerrie Mühren in David Winners ‘Brilliant Orange’. “Nach seinem ersten Jahr war alle Disziplin verflogen und es war vorbei. Wir hatten einfach nicht mehr den gleichen Spirit.”

2. In aller Deutlichkeit

Nach der Abreibung beim Titelverteidiger war Bayern-Trainer Udo Lattek außer sich, verlor sich damals jedoch nicht in geschwindelter Zufriedenheit oder schützenden Aussagen vom gemeinsamen Gewinnen und Verlieren. “Eine Halbzeit lang haben wir hervorragend gespielt, aber dann hat uns ein dummes Tor, an dem ich Sepp Maier die Schuld gebe, aus unserer Bahn geworfen”, wütete Lattek deutlich – und nachvollziehbar. Ein ungewohnt unsicherer Maier hatte im ganzen Spiel einen schlechten Eindruck gemacht und mindestens zwei Gegentore verschuldet.

Die große Deutlichkeit auf der Anzeigetafel übertraf somit das, was eigentlich angemessen gewesen wäre. Im ersten Durchgang agierten diszipliniert die Tiefe verteidigende, clever störende und sauber konternde Bayern größtenteils auf Augenhöhe und machten Ajax das Leben schwer. Erst nach Maiers Fehler, auf den das 1:0 folgte, kam Amsterdam so richtig ins Rollen und spielte die Münchner durch das Hinterlaufen der Außenverteidiger oder das kompakte Nachrücken der Mittelfeldspieler zunehmend an die Wand. Ein krachendes 0:4 hätte der FCB mit einem Maier in Normalform allerdings nicht kassiert.

3. Gehemmter “Bomber”

4:0 wurden die Bayern abgeschossen. Also nicht mal ein Ehrentreffer durch den “Bomber der Nation”, Deutschlands größten aller Mittelstürmer? Nun, Gerd Müller stand in Amsterdam zwar auf dem Platz, war aber nicht im Vollbesitz seiner Kräfte. Müller litt an den Folgen einer Wadenverletzung, die viel zu spät als Bruch erkannt worden war. Mit diesem hatte er wochenlang gespielt. Da brachte es Müller auch wenig, dass Barry Hulshoff, Ajax’ Turm von einem Vorstopper, im Hinspiel sogar ausfiel.

Im Rückspiel in München sollte der “Bomber” schließlich in Erscheinung treten und sein Tor erzielen – aber dazu später mehr.

4. Individuelle Klasse

Beim Blick in den Rückspiegel könnte man meinen, dass selbst der FC Bayern dem revolutionären Totalfußball 1973 zum Opfer gefallen ist. Dass das modernere System dieses Spiel gewann. Und auch wenn dies sicherlich ein Teil der Wahrheit ist, waren es noch mehr die von Kovacs von der Leine gelassenen Einzelkönner, die Ajax’ Überlegenheit ausmachten.

Freilich geprägt von Michels’ Technik- und Fitnesstraining waren fast alle Amsterdamer ihrem Gegenüber überlegen – und Bayern verfügte damals bekanntlich auch über eine große Spielergeneration. In puncto Dynamik, Ballbehandlung und Spielverständnis wirkte dennoch lediglich Franz Beckenbauer so fähig, dass er in dieser Ajax-Mannschaft einen sicheren Stammplatz gehabt hätte. Cruyff, Keizer und Co. waren einfach unverschämt gute Fußballer.

5. “Bulle” wie Hoeneß und Vogts

Bayern-Trainer Lattek, der bei der defensiven Zuordnung ein wenig experimentierte, hatte Franz “Bulle” Roth als Manndecker für Schlüsselspieler Cruyff auserkoren – und der Bulle setzte direkt ein Zeichen. Bereits in der ersten Minute – eine zu harte Entscheidung – bekam Roth für ein Foul an Cruyff die gelbe Karte gezeigt. Das erinnerte an Uli Hoeneß’ früh verschuldeten Elfmeter gegen Cruyff oder die ebenfalls frühe Verwarnung von dessen damaligem Manndecker Berti Vogts im WM-Finale ein Jahr später.

Wie Vogts hatte in Amsterdam dann aber auch Roth Cruyff gut im Griff, der dem “Super-Knüller des Jahres” nur bedingt seinen Stempel aufdrücken konnte. Bis er in der 89. Minute per Kopf den 4:0-Endstand besorgte. Cruyffs zuvor durchschnittliche Leistung unterstrich, dass diese Mannschaft nicht unbedingt von ihrem größten Genie abhängig war.

6. Blankenburg

Was für eine Mannschaft. Cruyff, Krol, Neeskens, Keizer – oder Blankenburg. Horst Blankenburg. Ein Deutscher. In Heidenheim geboren, in Wien den Durchbruch geschafft, bei 1860 München vom großen Ajax entdeckt. Ein Libero von Weltformat, in Amsterdam eine Legende.

Und doch machte Blankenburg kein einziges Länderspiel. Okay, klar, als Libero hatte Deutschland damals Beckenbauer. “Aber für Franz hätte ich auch Ausputzer gespielt”, versicherte Blankenburg Jahre später. Die beiden hätten im Wechselspiel durchaus funktionieren können, wie ein gemeinsamer Auftritt in einer Europa-Auswahl 1972 bewies. Ein Versuch hätte zumindest nicht geschadet. Hinter der Nicht-Berücksichtigung Blankenburgs steckte allerdings mehr.

Bundestrainer Helmut Schön hatte sich, ein Jahr vor der Heim-WM, gerade auf den Versuch einlassen wollen, als ein Journalist Blankenburg nach dem dritten Landesmeister-Cup 1973 mit einer vermeintlichen Aussage von Schön konfrontierte. Der Bundestrainer habe über den Legionär gesagt, dass dieser ihm noch nie aufgefallen sei. Warum er ihn überhaupt aufstellen solle. “Der Schön kann mich mal am Arsch lecken”, entfuhr es Blankenburg im Siegestaumel – und weil diese Aussage abgedruckt wurde, war das Thema Nationalmannschaft für ihn damit erledigt.

1975 wechselte Blankenburg zurück in die Bundesliga, zum HSV. Gemeinsam stemmten sie 1977 den Europapokal der Pokalsieger. Doch dauerhaft durchsetzen konnte er sich nicht – so gut wie bei Ajax spielte ein oft Vergessener des deutschen Fußballs nie wieder.

7. Das Rückspiel

Durch das 4:0 im Hinspiel war das Viertelfinale gelaufen – obwohl Ajax-Kopf Cruyff das Rückspiel in München zwei Wochen später verpasste. Ein grober Schnitzer von Paul Breitner brachte eigentlich recht defensiv auftretende Gäste früh in Führung, ein Eigentor von Ruud Krol und der Siegtreffer von Gerd Müller sorgten wenigstens für ein versöhnliches 2:1. Müller, 2:1-Siegtor im Olympiastadion? Eine kleine Vorschau auf das WM-Finale ein Jahr später.

Dennoch hätten die gut 180 Minuten auf der Anzeigetafel nicht so deutlich ausfallen müssen, dementsprechend haderten die Bayern danach. Und auch für Kovacs, dessen Abschied nach der Saison wegen seiner lässigen Herangehensweise bereits besiegelt war, hätte diese Paarung “auch ein schönes Endspiel” abgegeben. Die Viertelfinal-Duelle 1973 sollten allerdings die einzigen Pflichtspiele zwischen Cruyffs Ajax und Beckenbauers Bayern bleiben.

8. 1995

22 Jahre nach diesen Duellen hatte der FC Bayern das Pech, auch von Ajax’ zweiter großer Mannschaft vorgeführt zu werden. Im Champions-League-Halbfinale 1995 war das Ergebnis (5:2) dann nicht nur in der Höhe angemessen, es hätte sogar noch höher ausfallen können.

Diesmal war es weitaus eher der Triumph des besseren Systems. Mit einer überragenden Raumaufteilung im 3-4-3 und der cleveren Rolle der hängenden Spitze Jari Litmanen stellte Louis van Gaal den FCB vor unlösbare Aufgaben. Dennoch spielten auch wieder die Individualisten eine Rolle, obwohl Litmanen kein Cruyff und die Generation um Edgar Davids, Clarence Seedorf oder Patrick Kluivert noch sehr jung war. Der FC Bayern hingegen war nicht im Ansatz so gut besetzt wie 1973.

9. Der deutsche Angstgegner

Gegen Ajax aus dem Europapokal zu fliegen, ob 1973 oder 1995, ist keine Schande. Schon gar nicht für eine deutsche Mannschaft. In internationalen Klub-Wettbewerben hat sich der niederländische Rekordmeister über Jahrzehnte als deutsches Schreckgespenst hervorgetan. 15 von 18 K.-o.-Runden-Duellen zwischen 1957 und 2023 gingen an die Amsterdamer.

Das erste Opfer war der damalige DDR-Meister Wismut Karl-Marx-Stadt, neben den Bayern erwischte es beispielsweise auch den 1. FC Nürnberg, Hertha BSC, den 1. FC Kaiserslautern, Borussia Dortmund oder Schalke 04. Dem Trend trotzen konnten bisher lediglich die Bayern 1980 im Landesmeister-Cup – mit einem krachenden 5:1 -, Werder Bremen 2007 im UEFA-Pokal – und erst 2023 Union Berlin in der Europa League.

10. Die Revanche

Ehe sich der FC Bayern 1980 auch offiziell revanchieren konnte – die Gesichter der Mannschaften hatten sich allerdings verändert, Ajax hatte nicht seine beste Phase – gab es im November 1978 ein bittersüßes Wiedersehen. Der große Cruyff lud zu seinem Abschiedsspiel und wollte den FC Bayern, als Ersatz für seinen zweiten Herzensklub FC Barcelona, zum letzten Gegner haben. So weit, so schön.

Als der Tag des Events schließlich gekommen war, wurden die Münchner aber weder vom Flughafen abgeholt noch in einer halbwegs ansprechenden Bleibe untergebracht. Trocken im Umgang bekam der FCB ungefähr vermittelt, dass man zwar Teil des Abschiedsaktes, ansonsten aber eher weniger erwünscht war. Was dann im Stadion wartete, sollte alles Bisherige noch in den Schatten stellen.

Beim Aufwärmen zum legeren Legendenkick wurden die Deutschen bespuckt, beworfen und als Nazis beschimpft. Da fiel es nicht mehr sonderlich ins Gewicht, dass Cruyff Maier vor dem Anpfiff zugeraunt haben soll, dass die Bayern seinen letzten Auftritt ruhig etwas ernsthafter angehen dürfen. Breitner hielt in der Kabine eine zornige Ansprache und befahl, als Antwort auf den miesen Empfang 90 Minuten Vollgas zu geben.

Gesagt, getan. Überrumpelte Ajax-Akteure wurden vorgeführt und Cruyff bekam keinen Freiraum, um bei seinem Abschiedsspiel standesgemäß glänzen zu können – am Ende stand ein 0:8 auf der Anzeigetafel. Die Bayern verzogen sich daraufhin ziemlich wortlos zurück nach München und hatten für einen Affront gesorgt, für den sich Karl-Heinz Rummenigge Jahre später sogar bei “König Johan” entschuldigte. Dieser hatte damals dann übrigens doch nicht aufgehört, sondern noch sechs (!) Jahre weitergespielt. Vielleicht hatte die deutsch-niederländische Rivalität ja auch seinen Ehrgeiz noch mal geweckt.

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