Bayern 1, Dortmund 3 (2011): ZEHN ERKENNTNISSE

Im Frühsommer 2011 bekam ein wiederbelebter BVB durchaus überraschend die Schale überreicht. Der Status als beste Mannschaft Deutschlands wurde zuvor in München zementiert:

In einer lang vergangenen Zeit, als die heute übermächtigen Bayern nur alle zwei Jahre Meister wurden, führte Jürgen Klopp Borussia Dortmund, das 2005 eigentlich schon insolvent war, 2010/11 doch recht überraschend an die Spitze des deutschen Fußballs zurück.

Wie das in etwa aussah, zeigt unter anderem Dortmunds erster Sieg in München nach 18 vergeblichen Anläufen – Ende Februar 2011:

FC Bayern: Kraft – Lahm, Tymoshchuk, Badstuber (46. Breno), Luiz Gustavo (58., Kroos) – Schweinsteiger, Pranjic – Robben, Müller (78., Klose), Ribery – Gomez.

Borussia Dortmund: Langerak – Piszczek, Subotic, Hummels, Schmelzer – Bender, Sahin (89., Kehl) – Götze, Lewandowski, Großkreutz (82., da Silva) – Barrios (74., Blaszczykowski).

Tore: 0:1 Barrios (9.), 1:1 Luiz Gustavo (15.), 1:2 Sahin (18.), 1:3 Hummels (60.).

1. Bayerns letzte Chance

Für die von Louis van Gaal trainierten Bayern, die einige Monate zuvor noch im Champions-League-Finale gestanden hatten, ging es in der Meisterschaft bereits um alles – oder nichts.

Das Team, das die Endspiel-Neuauflage gegen Inter im Achtelfinal-Hinspiel nur Tage zuvor mit 1:0 gewinnen konnte, hätte in der Allianz Arena den Abstand auf den BVB auf zehn Punkte verkürzen können – im Falle einer Niederlage wären es aber deren 16 und die Meisterschaft realistisch betrachtet futsch gewesen.

Zwischen der Borussia und den Bayern lag zu diesem Zeitpunkt übrigens Bayer Leverkusen, nur einen Punkt hinter dem Rekordmeister tatsächlich Mirko Slomkas Hannover 96.

2. Dortmund hat’s einfach

Während der FCB noch auf allen drei Hochzeiten tanzte, konnte sich der aufstrebende BVB ausruhen und auf das eine Ziel konzentrieren.

Im DFB-Pokal war bereits in der zweiten Runde im Elfmeterschießen gegen Kickers Offenbach Schluss gewesen, in der Gruppenphase der Europa League hatten sich der FC Sevilla und Paris Saint-Germain gegen Dortmund durchgesetzt.

Die “Einfachbelastung” griff dem intensiven Dortmunder Spiel mit Sicherheit unter die Arme.

3. U 23

In keinem Bundesligaspiel schickte der BVB jemals eine jüngere Startaufstellung auf den Rasen (nach üblicher Rechenart mit Alter nur in Jahren angegeben): 22,3 Jahre waren die Dortmunder durchschnittlich jung. Die Routiniers hießen Lucas Barrios (26) und Lukasz Piszczek (25), Mario Götze (18) senkte den Schnitt. Im Tor ersetzte Mitchell Langerak (22) den verletzten Roman Weidenfeller.

Bemerkenswert war, wie im Spiel der Spiele, in der Höhle des verwundeten Löwen, die schwarz-gelben Jungspunde sich ihr Alter gar nicht anmerken ließen. Sie traten entweder bereits mit einer erstaunlichen Reife (Hummels, Sahin, Bender) oder angetrieben von förderlicher jugendlicher Unbeschwertheit (Götze, Großkreutz) auf. Am rohesten war noch der hinter Barrios spielende Robert Lewandowski (22).

Jung, jung und auch noch relativ jung: Borussia Dortmund 2011. – Bild: www.derwesten.de/sport

4. Gegenpressing

Pressing ungleich Gegenpressing. Dortmund spielte ein ähnliches Angriffspressing wie Bayern: kaum eines. Der BVB ließ die Hausherren eher kommen, um sie auskontern zu können – Ausnahme war, wenn ein Münchner den Ball im Aufbau mit dem Rücken zum Dortmunder Tor annahm oder in Richtung des eigenen Gehäuses zurücklief.

Was Klopps Borussia auszeichnete, war das oft kollektive Gegenpressing, der direkte Druck nach eigenen Ballverlusten. Aufgeführt schon in der ersten Minute – und die Bayern waren damals spielerisch noch nicht stark genug, um diesen Trumpf des Gegners auch nur ansatzweise verpuffen zu lassen.

Wenn der BVB die Kugel auf diese Art zurückgewann, war die Kacke richtig am Dampfen.

5. Lucas, der Imker

Dortmunds berühmtes “Ausschwärmen”. Überfallartig und doch extrem koordiniert. Die Konter nach Ballgewinnen durch Gegenpressing flogen den Münchnern nur so um die Ohren, die sich gerade einmal zwei üble Schnitzer erlaubten: ein wilder Ballverlust von Bastian Schweinsteiger, ein derber Fehlpass von Mario Gomez. Auf beide folgte ein Gegentor.

Der “einmaligste” Spieler und gefühlter Mittelpunkt des schwarz-gelben Schwarms war der definitiv unterschätzte Barrios, der Bälle unnachahmlich festmachen, verarbeiten, sichern, auflegen und vollstrecken konnte. Ein Individualist mit Teamgedanke, ein Künstler mit Sinn für Geradlinigkeit – wenn sie benötigt wurde. Großes Lob an der Stelle.

6. Antwort auf Antwort

Spitzenspiel. Alles oder nichts. Die Bayern. In der Allianz Arena. Da gab es für Dortmund seit Jahren nichts zu holen. 2011 liefen die Uhren allerdings noch ein bisschen anders, sodass Oliver Kahn im “Aktuellen Sportstudio” sogar von einer “Lehrstunde für den FC Bayern” sprechen musste.

Typisch bayrisch glichen die Roten nach Barrios’ früher Führung zeitig aus (Luiz Gustavo nach einer Ecke) und waren drauf und dran, das Geschehen wieder einmal komplett zu übernehmen. Wegen Gomez’ Fehlpass und den Punkten 4 und 5 gelang es dem BVB aber, auf den Münchner Ausgleich selbst direkt zu antworten (Schlenzer Sahin).

Eine klare Ansage entschlossener Gäste, wer das Ding in diesem Jahr wuppen würde. So richtig erholt hatte sich der FCB vom 1:2 irgendwie nicht mehr.

7. Kapitel Konjunktiv

Entscheidende Phasen sind in entscheidenden Spielen oft ein Thema und das Glück des Tüchtigen ist durchaus mehr als eine Stammtischphrase.

Bayerns Antwort auf Dortmunds Antwort auf Bayerns Antwort zählte nicht, weil Gomez in der 26. Minute knapp im Abseits gestanden hatte. Drei Zeigerumdrehungen später hätte der Titelverteidiger ohne Zweifel (wobei?) aus heutiger Sicht und wahrscheinlich auch schon damals einen Handelfmeter kriegen müssen. Großchance auf das 2:2.

Im zweiten Durchgang übersah ein noch etwas unerfahrenerer Schiedsrichter Manuel Gräfe außerdem einen klaren Foulelfmeter von Philipp Lahm an Kevin Großkreutz – Arjen Robbens dreiste Schwalbe in der Schlussphase sanktionierte er zu Recht mit Gelb.

8. Gestutzte Flügel

Ansonsten sah man kaum etwas von Robben oder seinem gefährlichen Gegenüber Franck Ribery, Bayerns Unterschiedsspieler wurden auf dem Flügel immer mindestens gedoppelt. Selbst wenn die Außenverteidiger Lahm rechts oder Luiz Gustavo links selten mal unterstützten, konnte der FCB in diesen Szenen maximal Gleichzahl generieren.

Lauffreudige Dortmunder schafften es, das Zentrum durch Kompaktheit und punktuelles Einzelpressing ziemlich gut abzudichten und trotzdem rechtzeitig nach außen zu schieben, um Robben und Ribery kaum Durchbrüche zu ermöglichen. Bayern verlagerte zu langsam, griff noch nicht kollektiv genug an und wurde somit kaum gefährlich.

9. Bayerns Außenverteidigerproblem

Die Baustelle, wo sich die Weiterentwicklung in den kommenden Jahren mit am gravierendsten zeigen sollte, war das Verhalten der Münchner Außenverteidiger.

Das war die “Schuld” van Gaals, der Positionsrochaden seiner Außenbahnspieler nur bedingt leiden konnte – was es Dortmund erleichterte, Bayerns Außenstürmer, die im Vergleich zu heute (auch von Verbindungsspieler Thomas Müller) kaum unterstützt wurden, zu isolieren und auszubremsen.

Mit den Bayern der Jahre 2013 oder 2014 hätte dieser BVB weitaus größere Schwierigkeiten gehabt.

2012 gewann Borussia Dortmund sogar das Double, dann aber holten sich die Bayern ihre Spitzenposition zurück. – Bild: www.neunzigplus.de/bundesliga

10. Van Gaal: Der Anfang vom Ende

Das Aus in der Meisterschaft war der Anfang vom Ende für den schwierigen Charakter van Gaal, der auch in der Champions League noch gegen Inter und im Pokal gegen Schalke ausscheiden sollte – und noch vor Saisonende gefeuert wurde.

Unbestritten hatte die niederländische Trainer-Koryphäe in Bayern jedoch einen Grundstein gelegt, auf dem Jupp Heynckes oder Pep Guardiola ein paar der größten Vereinsmannschaften der Gegenwart aufbauen konnten – wodurch die Dortmunder “Machtergreifung” im Jahr 2011 bald auch schon wieder Geschichte war.

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