Für den Champions-League-Sieg von Olympique Marseille war fast allein er verantwortlich, für den folgenden Absturz aber auch. Nun ist Bernard Tapie tot. Rückblick auf ein bewegtes Leben – catch me if you can:
Tausendsassa. So nennt man diese Art Mensch. Der junge Tapie verkauft Fernseher, ist Varieté-Sänger, TV-Moderator und handelt mit Firmen bis hin zur Größenkategorie Adidas.
Tausendsassa, weil Tapie eine unglaublich vereinnahmende Persönlichkeit hat – und ist. Er kann Menschen einlullen wie kein Zweiter, ihnen genau das erzählen, was sie hören wollen – und sie das machen lassen, was er gerne hätte. Er kann sie auch fertig machen, erniedrigen, zerstören. In einer Geschäftswelt, die stets einem Haifischbecken glich, war er der große Weiße. Wer nicht Respekt vor ihm hatte, der hatte Angst. Tapie nahm sich, was er wollte – und davon reichlich. Tapie war ein Gewinner-Typ.
Der 1943 in Paris geborene Multi-Unternehmer und sein großer Einfluss waren landesweit bald so berüchtigt, dass der damalige Bürgermeister von Marseille, Gaston Defferre, Tapie in einer für die Stadt schwierigen Zeit darum bat, sich als neuer Vereinspräsident um “OM” zu kümmern. Denn wenn der Fußball erfolgreich ist, dachte Defferre, sind auch die Bürger zufrieden.
Und Tapie, dem Tausendsassa, würde das doch sicher gelingen. Dessen Chauffeur einmal erklärte, dass sein Chef nie langfristig plane, aber eben besonders gut darin sei, günstige Gelegenheiten zu erkennen. Und so sagte Monsieur Bernard, der ohnehin einmal französischer Staatspräsident werden wollte, Defferre und OM 1986 zu.
Bei Adidas mitentscheiden, in der Landespolitik am besten auch – Tapies Vorstellungen und Begierden kannten ganz offensichtlich keine Grenzen. Sein beinahe logisches Erfolgskonzept für OM: Die besten Spieler der Welt sollten in der südfranzösischen Idylle gegen den Ball treten. Obwohl die letzten nationalen Meisterschaften bereits 15 Jahre zurücklagen.
Aber Tapie war eben Tapie. Der laut seinem “Ziehsohn”, Star-Stürmer Jean-Pierre Papin, größte Menschenführer, dem dieser je begegnete. Tapie gewann Michel Hidalgo für sich, den Trainer der großen französischen Nationalmannschaft der 1980er Jahre, und stellte ihn als Manager ein. Also als Teil der Abteilung, die für den Rest der Mannschaft zuständig war.
Um die großen Stars kümmerte Tapie sich höchstselbst. Er umgarnte sie, beeindruckte sie und ließ sie – hatten sie gerade persönliche Probleme – auch mal zum mehrtägigen Erholungsurlaub auf seiner Luxus-Yacht wohnen.

Papin, der 1991 den Ballon d’Or gewinnen sollte, war bereits aus Brügge gekommen. 1989 stand “Le President” samt Gefolge bei Tottenham auf der Matte und wollte den hochveranlagten Paul Gascoigne eintüten. Vor Ort gefiel ihm dann aber Chris Waddle besser, weil der noch spektakulärer spielte. Waddle schlug in Marseille ein und avancierte zum Liebling der Massen.
Tapie wollte natürlich auch den Allergrößten. Im selben Jahr titelten diverse Sportgazetten: “Maradona zu Marseille”. OM’s polarisierender Papst hatte selbst den “Göttlichen” überzeugen können – doch ein Transfer scheiterte an der Verlustangst Neapels. Präsident Corrado Ferlaino hatte sein Wechselversprechen gebrochen, auch die Camorra soll sich eingeschaltet haben. Maradona blieb.
Uruguays Spielmacher Enzo Francescoli, Carlos Mozer aus Brasilien und der verheißungsvolle Stratege Didier Deschamps kamen. Olympique wurde erstmals Meister, schied im Halbfinale des Landesmeister-Cups jedoch unglücklich aus. Und Tapie? Riss sich Afrikas Starspieler Abedi Pelé, Jugoslawiens Jahrhundert-Talent Dragan Stojkovic und den jungen Eric Cantona unter den Nagel. Außerdem wollte er Franz Beckenbauer, der Deutschland soeben zum WM-Titel geführt hatte. Klar, wen auch sonst.
Tapie bekam auch den Kaiser. Für ihn, den Sonnenkönig, war aber selbst dieser mittlerweile ein Untertan geworden. Nach nur vier Monaten (“Er ist kein guter Trainer”) entband er den Deutschen wieder von dessen Amt.
Tapie, der alle anderen wie Marionetten dirigierte – weil sie sich von ihm dirigieren ließen. Der, wenn es nötig war, in der Halbzeit in die Kabine stürmte und seine uninspirierten Spieler selbst zusammenstauchte. Der per Walkie-Talkie von seinem Logenplatz aus taktische Befehle an die Trainerbank gab – und mit diesen verdammt oft richtig lag. Tausendsassa eben.
So feuerte Tapie Beckenbauer nicht gänzlich, sondern funktionierte ihn zum Technischen Direktor um. Was ziemlich clever war, vermochte der edle Franz den unter Tapies Regentschaft mitunter rücksichtslosen und unliebsamen Klub mit Kaiser’schem Charme glänzend zu vertreten.

Glänzend, wie das schimmernde Perlmuttweiß der OM-Trikots, die noch erhabener anmuten sollten als die mystischen weißen Leibchen Real Madrids ganz zu Beginn der Europapokal-Geschichte. Doch Marseilles Glanz war trügerisch. Nach dem im Elfmeterschießen verlorenen Endspiel von 1991 wurde die erste Ausgabe der Champions League 1992/93, mit der Tapie endgültig seine eigene Epoche lostreten wollte, bereits zu Marseilles letzter Chance – auch wenn ihm das noch gar nicht bewusst war.
Seine Machenschaften, und trotz Zahnpastalächeln und ewigem Sonnenschein sind diese bei Glückskindern wie Tapie nie wirklich sauber, holten den Macher langsam, aber sicher ein. Den Machtgierigen, der seine Stars nicht nur emotionslos austauschte (vor der Saison kamen Marcel Desailly, Alen Boksic und Rudi Völler), sondern sie vor wichtigen Spielen auch mit Aufputschmitteln versorgte.
Im letzten Ligaspiel vor dem CL-Finale bestach Tapie die gegnerischen Spieler von Valenciennes, dass sie sich in den Zweikämpfen doch bitte zurückhalten mögen. Sie hielten sich zurück, danach aber nicht dicht. Marseille gewann sein großes Endspiel gegen die AC Mailand, und kurzzeitig schwebte Marionetten-Mann Tapie triumphierend über allen Zweifeln.
Doch nur Wochen später zog sich die Schlinge um seinen nimmersatten Hals zu – und zum ersten Mal kam Bernard Tapie nicht mehr davon. Der Henkelpott, der erste aller Champions-League-Titel, er konnte ihm und OM nicht mehr genommen werden. Die zuvor gewonnene Meisterschaft aber – futsch. Die Teilnahme an der kommenden CL-Saison und am Weltpokal – untersagt. Zwangsabstieg und Konkurs, keine zwei Jahre nach dem großen Triumph. Marseille am Boden. Und Knast für Tapie.
Aber nur wenig Knast. Denn der Menschenführer konnte sie vor Gericht wieder einmal alle umschmeicheln. Bis selbst manche Kläger ihn für unschuldig, manche Anwälte ihn für ehrlich und aufrichtig hielten. Schon war Tapie wieder auf freiem Fuß.
Dennoch müssen besonders die, die immer nur nehmen, irgendwann auch mal so richtig geben. 2017 erwischte Tapie der Magenkrebs. Und der lässt sich nicht umschmeicheln.