Er war einer der berühmtesten Torhüter der Fußballgeschichte, weil er sich das Genick gebrochen hat. Und so noch ein Pokalfinale gewann. Dabei hat Bert Trautmann, dessen Geschichte zwiegespalten ist, weitaus mehr geleistet.
FA-Cup-Finale 1956, Manchester City gegen Birmingham City, 17 Minuten vor Schluss. Es ist der Moment, auf den Bert Trautmann nie reduziert werden wollte, aber es ist der Moment, der ihn berühmt gemacht hat. Also bringen wir es hinter uns.
Birminghams Stürmer Peter Murphy schüttelt seinen Gegenspieler Dave Ewing ab, Trautmann eilt aus seinem Kasten zu Hilfe. Murphys Knie – “Ich bekam seinen Oberschenkel in die rechte Seite” – traf Trautmann im Bereich des Nackens, wo der zweite Halswirbel brach und vier weitere ausgerenkt wurden. So spielte der Schlussmann das Finale schier heroisch zu Ende und brachte die Führung – ein paar schmerzhafte Paraden waren noch fällig – über die Zeit.
Noch beeindruckender war aber eigentlich, wie Bernhard Carl Trautmann an diesem 5. Mai 1956 überhaupt auf den Rasen des Wembley-Stadions gelangt war. Diese Geschichte beginnt in einer Zeit, über die der Deutsche noch deutlich weniger gern sprach wie über seinen “Genickbruch”.
Der junge Trautmann, 1923 in Bremen geboren, brannte für Bewegung und Ideale. Nirgends ließ sich das zu dieser Zeit so vereinen wie in der Hitler-Jugend. “Bernd” war Feuer und Flamme. Er ahnte nichts Böses, aber er war überzeugt. So überzeugt, dass er 1941, mit 17 Jahren, freiwillig in den Krieg zog. An der Front änderte sich für den Fallschirmjäger einiges. Wenn nicht alles.
Der Schrecken, die Brutalität, das Hinrichten unschuldiger Kinder – Trautmann wurden die Augen geöffnet. Doch den Mund musste er geschlossen halten. Sonst hätten sie wohl auch ihn erschossen. Stolz und Überzeugung wichen Schuldgefühlen und Scham. Trautmann sehnte das Ende des Krieges herbei. Doch als es schließlich eintrat, war er wieder einer der Hitlerjungen – für die Engländer, bei denen er in Kriegsgefangenschaft landete.
Erst in England wird Trautmann Torhüter
In Lancashire, wo “wir von den Engländern sehr fair behandelt wurden”, findet Trautmann zum Fußball zurück, der damals in Deutschland für ihn gar nicht die wichtigste Rolle gespielt hatte. Erstmals, weil er dafür ein Talent zu haben scheint, steht der lange Blonde als Teil seiner Lagermannschaft im Tor. Die darf regional immer wieder gegen Amateurmannschaften antreten, zwischen ihren Pfosten erarbeitet sich Trautmann, der sich auch freiwillig für das Bombenräumkommando meldet, wieder eine Reputation.
Es ist Camp 50, das für seinen auffälligen Torhüter mit den spektakulären Paraden immer mehr Bekanntheit erlangt. Weil Trautmann, der inzwischen in die Heimat hätte zurückkehren können, auf der Insel bleibt, fasst er im englischen Nachkriegsfußball Fuß. Zunächst bei St. Helens AFC, wo er ob seines Charakters kaum geächtet wird. Und wo ihm der Charakter der Engländer im Januar 1949 den ersten Heimatbesuch ermöglicht. Seine Teamkollegen hatten extra Geld und Lebensmittel gesammelt.
Trautmann trifft in diesen Jahren auch falsche Entscheidungen. 1948 hatte er, was er laut seiner Biographin Catrine Clay später als “ewige Schande” empfand, seine schwangere Freundin verlassen. Weil er sich für die Vaterschaft noch nicht bereit fühlte. Weil die Karriere gerade Fahrt aufnahm. Das tat sie wirklich. Der Torhüter Trautmann ist so gut, dass schon bald auch bekanntere Klubs auf der Matte stehen und ihm eine große Zukunft zutrauen. Der Scout von Manchester City, wo ausgerechnet ein Deutscher Torwartlegende Frank Swift ersetzen soll, setzt sich im Oktober 1949 schließlich durch. Angeblich weil Trautmann dringend aufs Klo musste und den Mann mit einer Zusage am schnellsten abwimmeln konnte. Als Griff ins Klo sollte sich das nicht herausstellen.
Doch es gab ein Problem. Manchester hatte eine große jüdische Gemeinde, City war ein jüdisch geprägter Verein. Einen Nazi in den eigenen Reihen sahen einige Anhänger logischerweise gar nicht gerne. Noch verhalten formuliert. Es war der anerkannte Rabbiner Alexander Altmann, der öffentlich eine Lanze für Trautmann brach und in einem offenen Brief schrieb: “Wenn dieser Fußballer ein anständiger Kerl ist, kann ich keinerlei Nachteil erkennen. Jeder muss nach seinen persönlichen Verdiensten beurteilt werden.”
Trautmanns Auftreten tat sein Übrigens, bald waren die Wogen – ein Verdienst beider Seiten – geglättet. Mit den Worten “Es gibt keinen Krieg in dieser Kabine” begrüßte Kapitän Eric Westwood den einstigen Feind, dessen Verpflichtung er ursprünglich weniger begrüßt hatte. Alle sprangen über Schatten. Rasch wurde die Bewunderung seiner sportlichen Fabelleistungen das höchste der Gefühle, das man in Greater Manchester für Trautmann empfand. Der Startschuss einer großen Karriere.
Trautmann statt Turek?
Sinnbildlich war eine Partie ManCitys gegen das favorisierte Fulham. Die gegnerischen Fans buhten den Deutschen freilich aus, und zu dieser Zeit hatten sich auch noch einige Skyblues auf Trautmann eingeschossen. Mit einer Performance, die ein heillos unterlegenes City nur mit 0:1 verlieren ließ, verdiente sich Trautmann nach Schlusspfiff den Applaus beider Fanlager. “Das ist etwas, was ich nie vergessen werde”, schwärmte “Traut the Kraut” zu Lebzeiten.
Seine außergewöhnliche Klasse stand jahrelang über allem. Seine beeindruckende Erscheinung. Die spektakulären Paraden. In den 1950er Jahren wurde Bert zu einem der besten Torhüter Englands und Europas, womöglich hätte er, und nicht Toni Turek, bei der WM 1954 im deutschen Tor gestanden. Dafür hatte er im Vorfeld einen Wechsel in die Heimat angestrebt, weil Bundestrainer Sepp Herberger keine Legionäre nominierte. Mit Schalke hatte es bereits Verhandlungen gegeben. Doch City wollte zu viel Geld und Trautmanns Frau Margaret nicht nach Deutschland.
Sein großer Triumph folgte zwei Jahre später. Nicht Wankdorf, sondern Wembley, wo Bert mit City das Pokalfinale 1955 gegen Newcastle noch verloren hatte. Diesmal behielten die Skyblues die Oberhand – mit einem frenetisch gefeierten Torhüter, der sich noch waghalsig dem Ball entgegenwarf, als er bereits lebensbedrohliche Verletzungen erlitten hatte. Die Schlussphase habe Trautmann “im Unterbewusstsein” gespielt, alles, was er noch sehen konnte, war “eine graue Wand”. Dreimal brach er noch zusammen. Dreimal stand er wieder auf.
Nackenschläge waren immer auch privat ein Thema. Zu den körperlichen Schmerzen – drei Wochen musste Trautmann mit einem Haken im Kopf im Bett liegen und künstlich ernährt werden, monatelang war er von Kopf bis Hüfte eingegipst – kam nur kurze Zeit nach dem Pokalfinale der schreckliche Tod seines Sohnes John, der beim Spielen auf der Straße überfahren wurde. Es war nur ein kleiner Trost, als Deutscher zu Englands Fußballer des Jahres gewählt zu werden. Ein Novum. Ein Höhepunkt, auch im Sinne der Völkerverständigung.
Es sind unterschiedliche Dinge, die von einem Mann bleiben, der seinen Lebensabend in Spanien verbrachte. Der Pokalsieg mit gebrochenem Genick, ob er das wollte oder nicht. Die davon oft überschattete sportliche Größe, Lew Jaschin bezeichnete Trautmann bei dessen Karriereende 1964 als einzigen Weltklasse-Torwart, den es bisher gegeben hatte – neben sich selbst. Und natürlich das Schicksal des Grenzgängers, der Kriegsverbrechen miterlebt und Wiedergutmachung betrieben hatte.
89 Jahre durfte Bert Trautmann alt werden, bis zuletzt blieb er ob seiner Nazi-Vergangenheit immer ein wenig zerrissen. Sohn Mark beschrieb seinen Vater als “tiefgründigen Menschen, der aber selten seine Gefühle gezeigt” habe. Es wäre ihm am liebsten gewesen, als Botschafter für die deutsch-englische Versöhnung zu gelten, überliefert Filmregisseur Marcus H. Rosenmüller, der den Trautmann-Spielfilm drehte.
Wo früher Grenzen waren, sind längst kaum noch welche. Trautmann hat viele von ihnen eingerissen. Besonders bei Manchester City, wo ihn die Fans 2007 – lange nach seiner aktiven Zeit, kurz bevor das große Geld kam – zu ihrem Spieler des Jahrhunderts wählten. Den Deutschen in England. Er wurde nach seinen persönlichen Verdiensten beurteilt.