Warum Claude Makélélé Real Madrid verließ – oder: Als Florentino Perez den gleichen Fehler zweimal beging.
Iker Casillas wirft ab. Ballannahme mit der Brust, dann pflügt Roberto Carlos die linke Außenbahn entlang, bittet Zinedine Zidane zum Doppelpass. Natürlich nimmt der Franzose die Sohle. Die Kugel landet bei Ronaldo, der sie nach einem völlig überflüssigen, aber herrlich anzuschauenden Beinschuss gerade noch in den Lauf von Luis Figo spitzeln kann. Auch die obligatorische Finte des Fintenkönigs gelingt, doch seine Flanke wird abgefangen.
Umschalten nach Ballverlust. Oder? Kein Gegenpressing von Figo, keines von Ronaldo. Zidane schaut zumindest in Richtung Ball, Roberto Carlos geht die ersten drei Schritte noch mit, die restlichen nicht mehr. Denn sie, die Stars, haben einen Schutzengel, auf den (fast) immer Verlass ist: Claude Makélélé.
Ein 2000 von Celta Vigo verpflichteter französischer Mittelfeldspieler, der in Real Madrids damaliger Personalpolitik dennoch kein Teil der Zidanes, sondern vielmehr der Pavones zu sein schien – also einer derer war, die eigentlich gar nicht so wichtig waren. Und doch waren sie so wichtig. Vor allem er.
Das 1,74-Meter-Energiebündel war ein unermüdlicher Hinterherhetzer, gesegnet mit ausgezeichnetem Timing in den aberhunderten Zweikämpfen, die Makélélé als oft alleiniger Gegenpol einer Fantasie-Offensive führte, und meistens gewann. Ehe er zuverlässig den nächsten Angriff einleitete, der ihm Sekunden später schon wieder um die Ohren fliegen konnte.
Makélélés Resümee in Madrid ist beeindruckend. Schon in seiner ersten Saison, 2000/01, war er nach Figo mit 33 Liga-Einsätzen Dauerbrenner – ohne ein einziges Tor zu erzielen. Doch die Königlichen, zuvor Vierter, abgeschlagen Zweiter und Fünfter, wurden wieder spanischer Meister. Sie erreichten das Halbfinale in ihrem Lieblings-Wettbewerb Champions League, den sie im Folgejahr gewinnen sollten.
Für das Spektakel waren andere zuständig, aber den Laden zusammen hielt Makélélé. Die Fußballwelt schwärmte in diesen Jahren von den sogenannten “Galacticos”, die 2003 erneut Meister wurden und abermals im Halbfinale der Champions League standen – wo diesmal jedoch Endstation war. Weil Makélélé das Rückspiel gegen Juve verletzt verpasste?
Ab 2003 geht es bergab
Als die Blancos anschließend Erfolgstrainer und Makélélé-Förderer Vicente del Bosque vor die Tür und dem unterbezahlten Franzosen mit David Beckham den nächsten großen Namen vor die Nase setzten, erkundigte sich der damals 30-Jährige auf Anraten seiner Teamkollegen nach einem neuen, zudem etwas besser dotierten Vertrag. Doch die Wertschätzung für den spielenden Staubsauger war geringer als erwartet, sein Begehren wurde humorlos abgewiesen.
“Schon 2001 hatte der Präsident (Florentino Perez) mir eine Verlängerung in Aussicht gestellt. Doch als im Sommer 2003 Beckham kam, hat man mir gesagt, dass für mich kein Geld übrig sei”, erzählte Makélélé 2019 “Stadium Astro”. “Dann redete Jorge Valdano (Ex-Sportdirektor) ein wenig zu aggressiv auf mich ein und meinte, für Real Madrid solle ich auch umsonst spielen. Ich wollte nicht mehr bei einem Klub bleiben, der mich nicht respektiert.”
Gekränkt schloss sich der umworbene Unterschiedsspieler daraufhin dem neureichen FC Chelsea an, während ihm Perez hinterherrief: “Er war kein Kopfballspieler und passte den Ball selten über mehr als drei Meter. Es werden jüngere Spieler kommen, die Makélélé vergessen machen.” Errare humanum est.
“Wir Spieler wussten, dass er der Wichtigste war”
Im Westen Londons erfand ein künftiger Coach der Königlichen, José Mourinho, ein Jahr später den Fußball in der Premier League für kurze Zeit neu. Anker seines historisch stabilen Erfolgsteams (nur 15 Liga-Gegentore 2004/05) war Makélélé, nach dem diese Rolle vor der Abwehr fortan sogar benannt wurde. In Madrid hingegen brachen dunkle Zeiten an.
In seiner 2006 erschienenen Biographie schrieb Real-Kollege Steve McManaman über Makélélé: “Jahrelang war er der beste Spieler im Team, aber manche Leute haben das einfach nicht registriert, haben nicht wahrgenommen, was er leistete. Wir Spieler wussten alle, dass er der Wichtigste war. Sein Verlust war der Anfang vom Ende für die Galacticos.”

Eine legendäre und schier mystische, gleichwohl aber eine “Was wäre, wenn”-Ära gehörte der Vergangenheit an, als Real Madrid 2007 wieder spanischer Meister wurde. Und Zidane war bereits Teil des Trainerteams, als die Merengues 2014 den nächsten CL-Titel, die heiß ersehnte Decima errangen.
Vielerorts gelten die “Galaktischen”, deren Beginn oder Höhepunkt einige erst mit der Verpflichtung Beckhams verknüpfen, daher als gescheitert. Dabei war die Zeit mit Makélélé ein voller Erfolg. Doch gewissermaßen scheiterte Real damals auch, weil es schon 2000 ohne Not Balancespieler Fernando Redondo ziehen gelassen hatte und den gleichen Fehler ein zweites Mal beging. Diesmal mit fataleren Folgen.
“Wir wussten, dass Zidane, Raul und Figo nicht zurückarbeiteten, also mussten wir einen Mann vor die Abwehr stellen, der verteidigen würde”, formulierte die italienische Trainer-Koryphäe Arrigo Sacchi, die zwischen 2004 und 2005 kurzzeitig als Sportdirektor der Königlichen fungierte, zumindest in der Theorie – während Makélélé weiterhin CL-Halbfinals spielte und Meisterschaften gewann. Aber eben nicht mehr in Madrid.