Noch als Teenager wurde Eusebio praktisch über Nacht zum Star, ein paar Jahre später hätte er sogar beinahe den Guttmann-Fluch gebrochen. Doch wer hinter seiner Zeit bei Benfica ein Fußballmärchen wähnt, kennt einen wesentlichen Teil der Geschichte nicht.
Nachts wirkte selbst das Rauschen der Wellen bedrohlich. Dann kauerte der 18-Jährige frierend in seinem Bett und wartete, bis diese endlosen zwei Wochen endlich vorüber waren. Und eines stand fest: Ruth Malosso hieß er nicht.
Es war ein skurriles Szenario im Dezember 1960 in Lagos, einer kleinen Stadt an der Algarve. Wo Benfica den noch völlig unbekannten Eusebio unter falschem Namen versteckt hielt – aus Angst, das Juwel könnte gekidnappt werden. Ausgerechnet von Sporting, dem großen Rivalen.
Begonnen hatte dieser Krimi in Lourenco Marques, dem heutigen Maputo und damals Hauptstadt von Portugiesisch-Ostafrika, heute Mosambik. Im Slum von Mafalala, wohingegen sein Aufenthalt an der Algarve ein Luxusurlaub war. Weil sein Vater, ein weißer Schienenarbeiter, an den Folgen einer Tetanus-Erkrankung starb, als Eusebio erst acht Jahre alt war, wuchsen er und seine acht Geschwister in absoluter Armut auf.
Weil Armut aber meistens relativ ist und sich auch ein Lumpenknäuel Marke Eigenbau kicken lässt, zeigte sich für den jungen Eusebio recht schnell ein Ausweg auf. Und doch lehnte es seine Mutter strikt ab, dass ihr gerade einmal 15-jähriger Sprössling ein Angebot von Juventus Turin annahm – dabei hätten die Bianconeri Eusebio vermutlich höchst vornehm nach Italien begleitet, ohne ihn vorher heimlich einschleusen zu müssen.
Wie er dann drei Jahre später in Lagos landete?
In Lourenco Marques gab es zwei große Vereine. Beim einen hatte Benfica Vorkaufsrecht, beim anderen Sporting. Als Sohn eines Benfica-Fans wusste Eusebio natürlich sofort, wo er vorspielen wollte – doch Grupo Desportivo, wo auch Mario Coluna vor seinem Wechsel zu Benfica gespielt hatte, gestattete ihm das gar nicht. Also die zweite Wahl. Juve hatte wenigstens das Machtwort einer Mutter gegen sich gehabt, Benfica stand sich gewissermaßen selbst im Weg. Und hatte das Glück der Dummen.

Eusebio war inzwischen 18 und Teil der Erwachsenen-Mannschaft, als der Brasilianer José Carlos Bauer mit seinem Team Ferroviaria (Sao Paulo) durch die portugiesische Kolonie tourte und ein außergewöhnliches Talent erblickte. Von dem er wenig später, in einem Lissaboner Frisörsalon, einem ehemaligen Weggefährten erzählte: Bela Guttmann, seines Zeichens Trainer von Benfica. Bauer schwärmte in höchsten Tönen. Guttmann fackelte nicht lange.
Das Objekt der Begierde war schnell überzeugt. “Sporting wollte mich auch, aber als unbezahlten Jugendspieler”, verriet Eusebio später. Den Segen seiner Mutter für das One-Way-Ticket nach Portugal hatte er diesmal – und inmitten der Ungewissheit von Lagos plötzlich kalte Füße. Ausgerechnet die Mama war es, die Eusebio ausredete, Portugal wieder zu verlassen, ehe er überhaupt richtig angekommen war. Und das sollte dauern.
Verzweifelte rechtliche Auseinandersetzungen zogen sich noch ganze fünf Monate hin, ehe Sporting machtlos dabei zusehen musste, wie sein “eigenes” Juwel beim Erzrivalen geschliffen wurde. Um ganz kurz beim Frisör zu bleiben: Es war zum Haare raufen.
Nun gilt es wahrheitsgemäß anzumerken, dass Eusebio Benfica nicht auf Europas Thron schoss. Das war der Mannschaft um Coluna oder José Aguas am 31. Mai 1961 noch ohne den Hoffnungsträger gelungen, der im Wankdorf-Stadion – gegen den FC Barcelona – noch nicht spielberechtigt gewesen war. Es geschah am Folgetag, dass Eusebio sein Pflichtspieldebüt gab – mit einer B-Mannschaft. Die A-Besetzung kehrte ja gerade erst aus Bern zurück.
In der Pokalpartie gegen Vitoria Setubal schoss der 19-Jährige gleich in typischer Manier ein Tor. Und in später ziemlich untypischer Manier verschoss er zudem einen Elfmeter, pariert von José Mourinhos Vater Felix. Der 1. Juni 1961 war eine Tuchfühlung, ein erster Vorgeschmack. Dass Benfica womöglich Europapokalsieger geworden war, ohne seinen besten Spieler einzusetzen, zeichnete sich erst zwei Wochen später ab.
Bei einem Freundschaftsturnier in Paris erwartete der berühmte FC Santos mit dem noch berühmteren Pelé Europas neuen Champion. Und schenkte Benfica direkt vier schnelle Tore ein. Dann schickten die “Aguias” Eusebio aufs Feld, der direkt drei eigene Tore schoss. Aber nicht irgendwie. Sondern explosiver, schussgewaltiger und unaufhaltsamer als alle anderen Spieler auf diesem Platz in der Lage zu sein schienen.
Santos schlug Benfica an diesem Junitag, doch am nächsten Morgen titelte die “L’Équipe”: “Pelé 2, Eusebio 3”. Weltstar über Nacht.
Dass er keine Eintagsfliege war, bestätigte Eusebio nahtlos, in der Folgesaison. Durch seine eindrucksvolle Schnelligkeit, eine gewisse technische Beschlagenheit und eine regelrecht unheimliche Schusskraft, vor allem mit dem rechten Fuß, kombinierte er pure Physis mit einer geschmeidigen Eleganz. Wie ein schwarzer Panther. Der Spitzname war schnell gefunden. Europas Antwort auf Pelé auch.
1962 kehrte Benfica ins Europapokalfinale zurück, in dem Ferenc Puskas drei Tore schoss, ein alterndes Real Madrid aber trotzdem nicht über ein 3:3 hinauskam. Bis Eusebio den Königlichen, gewohnt fulminant, die Gegentore vier und fünf verpasste. Schon allein durch diesen Triumph und die folgenden Jubelbilder – wie der geschulterte Eusebio, der Ohnmacht nahe, Faustschläge der Ekstase durch die Lüfte wirft – wurde er mit gerade einmal 20 Jahren zur Legende.

Warum er in all dem Trubel zwar kein Trikot mehr getragen, aber stets seine Hose festgehalten hatte, erklärte “O Panthera Negra” übrigens Jahre später: Er hatte darin das ertauschte Leibchen Alfredo di Stefanos versteckt, der sein großes Idol gewesen war. Was sollte jetzt noch kommen? Tore. Viele Tore.
Ab 1963 explodierte Eusebio komplett. Der ziemlich unangefochten zweitbeste Spieler der Welt (hinter dem ein Jahr älteren Pelé) hatte Benfica zwar nicht ursprünglich in Europas Elite geschossen, aber er hielt die Aguias dort. Behauptete zumindest Mitspieler Antonio Simoes: “Ohne Eusebio wären wir höchstens portugiesischer Meister geworden. Aber mit ihm konnten wir den Europapokal gewinnen.” Naja, fast.
Die 1,75 Meter große Sturmwaffe wurde zwar in nahezu jedem Wettbewerb Torschützenkönig und gewann 1965 als erster Portugiese den Ballon d’Or. Doch trotz dreier weiterer Endspielteilnahmen schien Benfica den Europapokal irgendwie nicht mehr gewinnen zu können, was wahrscheinlich etwas mit dem Mann aus dem Frisörsalon zu tun hatte.
Weil ihm nach der Titelverteidigung 1962 die gewünschte Gehaltserhöhung verwehrt worden war, belegte der deshalb scheidende Trainer Guttmann Benfica mit dem “Fluch”, der Klub werde in den nächsten 100 Jahren keinen Europapokal mehr gewinnen. Und nun ja – der Guttmann-Fluch wirkt bis heute.
Dabei hätte ausgerechnet Eusebio ihn schon 1968 brechen können, als er in den Schlussminuten des Endspiels gegen Manchester United – beim Stand von 1:1 – auf dessen Torhüter Alex Stepney zustürmte. Doch dieser hatte seine Hausaufgaben gemacht und sich an ein ein Jahr zurückliegendes Vorbereitungsspiel erinnert, in dem ihn Eusebio gleich mehrmals düpiert hatte.
“Ich wusste, dass er einfach nur das Netz durchschießen wollte, weil er auf diese Weise die meisten seiner Tore schoss”, so Stepney, der oben blieb – und von Eusebio angeschossen wurde. Dass dieser noch im Moment seines Scheiterns Widersacher Stepney zu dessen Tat ausgiebig gratulierte, zeugte von einem großen Sportsmann. Den nicht nur Stepney immer wieder hervorhob.
Doch so wie Benfica dem Guttmann-Fluch nicht entkommen konnte, konnte Eusebio Benfica nicht entkommen. Nicht, dass er das prinzipiell gewollt hätte. Doch die Verantwortlichen unterdrückten den Jungen aus der Kolonie mit regelrechten Hungerlöhnen, Superstar hin oder her. Auch mit astronomischen Ablöseforderungen legten sie ihm keine Steine, sondern ganze Gebirgsmassen in den Weg. So hatte sich das Interesse von Juventus Turin oder Inter Mailand schnell verflüchtigt.
Eusebio wurde offenbar als Kolonialware verstanden, sein Vertrag als geschäftliches One-Way-Ticket. Viel Leistung, wenig Bezahlung, kein Wechsel. Der Fußballstar war Staatseigentum, das wies Diktator Salazar von ganz oben an. Und das Staatseigentum war im Begriff Salazars Portugal noch größer zu machen als Benfica.
Bei der WM 1966 in England, Eusebio reiste als amtierender Ballon-d’Or-Träger an, erlebte Europas herausragender Spieler seine größten Stunden. Zwei Tore gegen Titelverteidiger Brasilien, gleich vier gegen Nordkorea, das zuvor Italien eliminiert und gegen Portugal bereits mit 3:0 geführt hatte. Neun waren es am Ende insgesamt, wobei das neunte nicht im Finale, sondern im Spiel um Platz drei fiel. Was einen ziemlich bitteren Beigeschmack hatte.
Das Halbfinale gegen Gastgeber England hätte eigentlich in Evertons Goodison Park stattfinden sollen, wo Portugal bereits mehrmals aufgelaufen und ordentlich ins Rollen gekommen war. Kurzfristig wurde das Spiel aber zu den “Three Lions” nach London verlegt, wohin Eusebio und Co. – noch kurzfristiger – erst reisen mussten. An eine vernünftige Vorbereitung war nicht mehr zu denken. Auch in Wembley schoss Eusebio dann zwar ein Tor, doch Bobby Charlton schoss zwei.
Unter Tränen der Enttäuschung verließ der Torschützenkönig, der wie im Europapokalfinale zwei Jahre später von Nobby Stiles größtenteils aus dem Spiel gefoult worden war, den heiligen Rasen. Als “Spiel der Tränen” ist dieses Halbfinale in Portugal noch heute bekannt, das es mit Eusebio zu keinem weiteren Turnier mehr schaffte.
Der ganz große Ritterschlag ist ihm somit irgendwie verwehrt geblieben. Kein Titel mit Portugal, keine Rückkehr auf Europas Thron, kein großer Wechsel nach Mailand oder Madrid – und schon gar kein Reichtum.
Benfica ließ Eusebio erst gehen, als dieser 1975 alt und kaputt war. Nach elf Meisterschaften, nach 638 Toren in 614 Pflichtspielen, nach sechs Operationen im rechten Knie. Für ein bisschen Glamour und Payday in der North American Soccer League hat es noch gereicht.
Wahrscheinlich hat sich Eusebio auch deshalb nie endgültig entschieden, wenn es um die “Klärung” seiner Nationalität ging. Auf der einen Seite war er Portugals größtes Sportidol, auf der anderen blieb seine Heimat – in den Augen vieler – Mosambik. Weshalb die Antwort auf die Frage nach dem besten afrikanischen Fußballer weder George Weah noch Samuel Eto’o noch Didier Drogba noch Mohamed Salah lautet. Obwohl sie alle selbstbestimmte Millionäre sind – und keine Koloniejungen, die man unter falschem Namen in einer Absteige versteckt.