Gladbach 2, Köln 1 n. V. (1973): ZEHN ERKENNTNISSE

Das DFB-Pokalfinale von 1973 gilt bis heute als bestes überhaupt – was nur zum Teil an Günter Netzers Selbsteinwechslung liegt.

Superlative, das sind heute eigentlich keine mehr. Zu inflationär werden die Dinge dadurch aufgebauscht in einem oft unangebrachten Maß. Wenn aber der sachliche “kicker” nach dem DFB-Pokalfinale vor 50 Jahren hochjauchzend feststellte, dass “man von diesem Spiel nur in den höchsten Tönen schwärmen kann”, muss sich im Düsseldorfer Rheinstadion am 23. Juni 1973 schon eine besondere Partie ereignet haben.

Längst hat sie sich vor allem als das Spiel, in dem sich Günter Netzer selbst einwechselte, ins kollektive Gedächtnis eingebrannt. Doch dieses Finale war so viel mehr als das. Es war “voller atemberaubender Spannung, voller mitreißender Szenen, Höhepunkt reihte sich an Höhepunkt”. Zeit, diese Höhepunkte aufzuarbeiten.

Gladbach: Kleff – Bonhof, Vogts, Sieloff, Michallik – Wimmer, Kulik (91. Netzer), Danner – Jensen, Rupp (117. Stielike), Heynckes.

Köln: Welz – Kapellmann, Cullmann, Weber, Hein – Flohe, Simmet, Overath (71. Konopka), Neumann – Glowacz (71. Gebauer), Löhr.

Tore: 1:0 Wimmer (24.), 1:1 Neumann (40.), 2:1 Netzer (94.).

1. Die richtige Entscheidung

“Er hat richtig entschieden”, kann Günter Netzer mit der Weisheit des Alters inzwischen einräumen. Womit er natürlich meint, dass Trainer Hennes Weisweiler seinen Star im größten Spiel der Saison nur auf die Bank gesetzt hatte. Damals, vor Netzers letzter Partie als Gladbacher, hatte er das noch etwas anders gesehen und auf jener Bank nur widerwillig platz genommen – weil seine Teamkollegen ihn dazu überreden konnten. Doch warum die Einsicht?

Die Gladbacher standen in einem Endspiel, in dem der “Favorit durch die Form der letzten Wochen eindeutig Köln hieß” (kicker). Und Netzer kam gerade aus einer weiteren Verletzungspause zurück, er war noch nicht fit, wenige Tage zuvor war seine Mutter verstorben und der unmittelbar folgende Wechsel zu Real Madrid war bereits durchgesickert. Somit hatte Weisweiler einige Argumente auf seiner Seite – außer, als er Netzer nach der Pause einwechseln wollte: “Dieses Spiel war so großartig, ich hätte nichts dazu beitragen können. Ich wäre ein Fremdkörper gewesen”, erkannte “das lange Arschloch” (Weisweiler) schon damals. Nun.

2. (K)ein letzter Tanz

Rheinderby im Pokalfinale, ein letztes Mal Netzer gegen Overath. Die beiden großen deutschen Spielmacher ihrer Ära, von denen es in der Nationalmannschaft immer nur einen geben konnte. Netzer wurde 1972 Europameister, Overath 1974 Weltmeister.

Und auch bei ihrem letzten “gemeinsamen” Tanz im Trikot ihrer berühmten deutschen Vereine teilten sich die Freigeister die Bühne tatsächlich nicht. Overath wurde mit Krämpfen bereits in der 71. Minute ausgewechselt, Netzer betrat bekanntlich erst mit Beginn der Verlängerung den Rasen.

3. Geht’s raus

“Attraktivere Mannschaften im Pokalfinale lassen sich aktuell überhaupt nicht denken”, hatte der “kicker” schon vor dem Endspiel frohlockt – und hinterher von der taktischen Gelöstheit geschwärmt. Während in der Defensive ohnehin das Konzept Mann-gegen-Mann galt, legten beide Mannschaften offensiv durchweg den höchsten Gang ein. “Geht’s raus und spielt’s Fußball.” Es rollte ein bedingungsloser Angriff nach dem anderen, was wunderbar anzuschauen war und gewissermaßen die Frage aufwarf: Warum nicht immer so?

In puncto totaler offensiver Freiheit setzte Kölns Trainer Rudi Schlott, ein ehemaliger Assistent Weisweilers, sogar noch einen drauf. Die Sturmspitze ließ er ohne klaren Mittelstürmer wechselweise besetzen, in seinem Vier-Mann-Mittelfeld gab es keine festen Positionen. Die ohnehin sehr offensiven Overath, Herbert Neumann, Heinz Simmet und Heinz Flohe tauchten mal hier und mal da auf, während sich die Gladbacher Spieler da deutlich enger an ihre Ausgangspositionen hielten.

DAS FINALE IN VOLLER LÄNGE

4. Die Spielverderber

Sie liefen und liefen und schossen und schossen: die Feldspieler von Borussia Mönchengladbach und des 1. FC Köln. Doch die beiderseits wohl besten Akteure ihrer Mannschaften – wie im Champions-League-Finale 2013 – standen zwischen den Pfosten.

Kölns Gerd Welz, der auch einen Elfmeter hielt, und ganz besonders Wolfgang Kleff bei der Fohlen-Elf vereitelten zahlreiche Großchancen und sorgten dafür, dass ein Spiel, das ungelogen auch 5:4 hätte ausgehen können, ziemlich zivil 2:1 endete.

Wolfgang Kleff in Aktion. – Bild: Facebook/Wolfgang Kleff

5. Zwei Hälften

Gewissermaßen war die reguläre Spielzeit dieses unterhaltsamen Finals ein Spiel mit zwei unterschiedlichen Hälften. In der ersten war Favorit Köln der Aggressor und aktiver, während Gladbach lauerte. Nach dem Seitenwechsel vertauschten sich die Rollen und die Borussia agierte mehr, während der FC sich mehr auf das Reagieren konzentrierte.

In beiden Hälften war es tatsächlich so, dass sich die reagierende Mannschaft beim Herausspielen guter Chancen leichter tat – diese gab es auf beiden Seiten aber in solch großer Anzahl, dass das am Ende kaum einen Unterschied machte. In der Verlängerung, in der Gladbach fast durchweg in Führung lag, war die Statik des Spiels dann wieder mit der ersten Hälfte vergleichbar.

6. Was für ein Foul

Mutete das Pokalfinale vor inzwischen 50 Jahren ob seiner hohen Geschwindigkeit sehr modern an, war besonders eine Szene aus heutiger Sicht dennoch komplett aus der Zeit gefallen: das Foul von Jupp Kapellmann an Jupp Heynckes in der 58. Minute.

Beim Spielstand von 1:1 konnte sich der Kölner in seinem letzten Spiel vor dem Wechsel zu den Bayern nicht mehr mit fairen Mittel helfen und griff, bereits auf dem Boden liegend, dem Gladbacher Angreifer von hinten in die Beine. Kurios anzuschauen und zudem angenehm unumstritten – einen klareren Strafstoß kann es kaum geben.

7. Nicht Jupps Spiel

Das Pokal-Endspiel 1973 hätte auch das Finale des Jupp Heynckes werden können – es wurde aber alles andere als das, obwohl sich ausreichend Chancen aufgetan hatten. Gladbachs linker Außenstürmer ließ schon in der 22. Minute beim Stand von 0:0 die Gelegenheit zum Führungstreffer aus, etwas später parierte Köln-Keeper Welz einen Heynckes-Kopfball herausragend – kurz darauf kassierte die Borussia das 1:1.

Nach einer knappen Stunde holte der spätere Erfolgstrainer dann einen Elfmeter raus, trat selbst an – und vergab. In der wilden Schlussphase hatte Heynckes, gefährlichster Gladbacher, trotzdem noch zwei Hochkaräter auf dem Fuß – einmal traf er freistehend den Pfosten (85.), einmal scheiterte er abermals an Welz (88.).

Am Ende war Heynckes bei Netzers Siegtor immerhin erster Gratulant.

8. Beinahe wäre es ganz anders gekommen

Es führt kein Weg daran vorbei: So toll das Endspiel in seiner Gänze auch war, so über allem schwebt doch auf ewig das besondere Traumtor des Günter Netzer – zu dem es beinahe gar nicht gekommen wäre. Denn nur eine halbe Minute zuvor hatte der ebenfalls eingewechselte Kölner Rainer Gebauer aus spitzem Winkel, aber kürzester Distanz die Riesenchance zur Kölner Führung haarscharf verpasst – Netzers legendäre Szene hätte es nie gegeben.

9. Er kam, sah und traf – und mehr nicht

Das Pokalfinale 1973 – zumindest in den 70 Minuten, die er auf dem Feld verbrachte – war keine Overath-Gala. Der Kölner Spielmacher bereitete den Ausgleich durch Neumann zwar stark vor, konnte das Endspiel insgesamt aber nur bedingt prägen.

Das kann man durch das legendäre Siegtor zwar eigentlich nicht über Overaths Pendant Netzer sagen – irgendwie aber auch schon. Das 2:1 war in der 94. Minute die erste wirkliche Aktion von Gladbachs Genius, der in der restlichen Verlängerung anschließend kaum noch in Erscheinung trat. Doch sein Werk war vollbracht.

10. Eine Frage des Respekts

“Selbsteinwechslung, Selbsteinwechslung” wird zwar heute, wurde aber 1973 noch nicht groß getitelt. Die Kirsche auf der Sahnetorte jenes fulminanten Pokal-Endspiels deckte Netzer, der die Geschichte seitdem natürlich wieder und wieder durchkauen muss, offiziell erst Jahre später auf.

Erst nach dem unerwartet frühen Tod von Trainer Weisweiler 1983, von dem bis dato größtenteils gedacht worden war, dass er Netzer schließlich doch eingewechselt hatte. Dem war nicht so. Aus Respekt vor dem Mann, “der mich gemacht hat”, behielt Matchwinner Netzer seinen Coup vorerst für sich.

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