Nestor Combin: VERRÄTER

Im Weltpokalfinale 1969 wurde Nestor Combin zum Mittelpunkt des “brutalsten Spiels der Fußballgeschichte”. Wegen seiner Nationalität.

“Treffe ich, bin ich Franzose. Treffe ich nicht, bin ich Araber”, klagte einst Karim Benzema, dessen Gefühlslage wohl viele Franzosen mit Migrationshintergrund nachvollziehen können. Gerade auch die Akteure des “Black-blanc-beur”-Teams, das 1998 Weltmeister und zwei Jahre später Europameister wurde.

Etwa David Trezeguet, der durch sein Golden Goal im EM-Finale 2000 und durch seinen verschossenen Elfmeter im WM-Finale 2006 die Extreme zwischen großer Heldenrolle und tragischer Figur am eigenen Leib erfuhr. Trezeguet stammt ursprünglich aus Argentinien – wie Nestor Combin.

Dieser wurde 1940 dort geboren und auch fußballerisch großgezogen, die Profi-Karriere begann der Angreifer allerdings in Frankreich – seine Großmutter war Französin. In fünf Jahren bei Olympique Lyon gelangen Combin 68 Tore, die ihm einen Platz in der französischen Nationalmannschaft und einen Wechsel in die beste Liga der Welt ermöglichten: 1964 zu Juventus Turin.

Später stürmte er – neben dem tragisch verunglückten Gigi Meroni – auch für Stadtrivale Torino und schoss Juve einmal per Dreierpack schier im Alleingang ab. Mit beiden Turinern gewann er den Pokal, anschließend zog es ihn zu Meister Milan, der in Combins erster Saison den Europapokal der Landesmeister errang.

Combin erhielt Spitznamen für seine Schnelligkeit, für seinen Kampfgeist – und “La Foudre”, der Blitzschlag, was wohl auch auf seinen Jähzorn anspielte. Im Europapokal hatte Combin einmal Hamburgs Dieter Seeler einen Faustschlag verpasst.

Ein Gegner, der mit Schiedsrichtern trainierte

Eine Überdosis seiner eigenen Medizin sollte der Blitzschlag im Oktober 1969 serviert bekommen. Im damals prestigeträchtigen Weltpokalfinale musste Milan gegen die Estudiantes de la Plata ran, die die Copa Libertadores zu dieser Zeit in Serie gewannen und mit ihrem überharten “Anti-Fußball” als brutalste Mannschaft der Welt galten.

Trainer Osvaldo Zubeldia prägte sein Team zwar auch taktisch mit einstudierten Standardsituationen oder gewiefter Doppeldeckung. Er heuerte allerdings auch ehemalige Schiedsrichter an, die die Estudiantes lehrten, wie sie sich gerade noch im Rahmen des Legalen bewegen und clever versteckt foulen konnten.

Im Hinspiel, das die Rossoneri in Mailand mit 3:0 gewannen, hatte Combin getroffen. Im Rückspiel – in der “Bombonera” der Boca Juniors – wurde der Franzose mit argentinischem Hintergrund regelrecht gejagt. Doch nicht nur ihn richteten die Estudiantes in üblicher Manier zu: “Sie traten und boxten alles, was sich bewegte. Es waren die schlimmsten 90 Minuten meines Lebens”, erinnert sich Teamkollege Karl-Heinz Schnellinger. Torjäger Pierino Prati wurde noch vor der Pause per Kopfstoß aus dem Spiel gefoult.

Diesmal bekam Combin einen ganz anderen Spitznamen verpasst, schon im Vorfeld von der argentinischen Presse: Verräter. So propagierten die Gazetten eine hochstilisierte Feindseligkeit, die nach Stößen, Tritten und Spuckattacken – besonders durch Kettenhund Ramon Aguirre Suarez, dem vielleicht unsportlichsten Spieler der Fußballgeschichte – in einem Faustschlag gipfelte, der Combin die Nase brach.

Blutverschmiert waren Trikot und Gesicht, ohnmächtig war der Getroffene, als man ihn wie zuvor Prati vom Rasen schleppte. Wo ihn – obwohl Milan den Hinspiel-Vorsprung durchbrachte und nach dem “brutalsten Spiel der Fußballgeschichte” Weltpokalsieger wurde – das noch schlimmere Übel erwartete.

Auf dem Parkplatz der Bombonera wurde Combin gleich nach Schlusspfiff von der argentinischen Polizei regelrecht gekidnappt und wegen des Vorwurfs, seinen Wehrdienst verweigert zu haben, den er nach Absprache sehr wohl in Frankreich absolviert hatte, in ein Militärgefängnis gesteckt.

Stunde um Stunde verging, ehe Milan seinen Stürmer “befreien” konnte, der schließlich doch noch mit dem Rest der Mannschaft zurück nach Italien fliegen durfte.

Für kurze Zeit hinter Gitter wanderten auch drei Spieler des Teams, das ob seiner Schandtaten geschlossen beim argentinischen Präsidenten Juan Carlos Ongania antreten musste. Unter ihnen Aguirre Suarez. Und Nestor Combin? Nach seiner Zeit bei den Rossoneri kehrte er nach Frankreich zurück.

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