Romario 1993: SEIN WILLE GESCHEHE

In seinen besten Jahren machte Romario etliche großkotzige Ankündigungen, weil er eben in der Lage war, sie einzuhalten. Im entscheidenden Qualifikationsspiel für die WM 1994 übertraf er sich selbst – dabei war er eigentlich aus der Selecao verbannt worden.

Sein Trainer Guus Hiddink sagte über Romario einmal, dass dieser der beste Spieler sei, den er je trainiert habe. Romario bezeichnete Hiddink im Gegenzug als Vollidioten. So war dieser brasilianische Derwisch eben. Keine 1,70 Meter hoch, und mindestens die Hälfte davon Mundwerk. Weil die andere Hälfte aber Fähigkeiten waren, die das Mundwerk rechtfertigten, legte Romario – das Genie, der Wahnsinnige – eine der beeindruckendsten Karrieren hin, die je einem Stürmer gelangen.

Was umso beeindruckender ist, wenn man sich überlegt, wie oft sich “Baixinho” (“Der Kleine”) eigentlich selbst im Weg stand. Oder im Weg stehen wollte? Während Romario bei der PSV Eindhoven zwischen 1988 und 1993 der große Durchbruch im Vereinsfußball gelang, wollte der große Durchbruch im Trikot der brasilianischen Nationalmannschaft auf sich warten lassen. Bei der WM 1990 spielte er verletzungsbedingt kaum, die Copa America 1991 sagte er tatsächlich ab, weil er lieber Urlaub machen wollte.

Nach einer Auseinandersetzung im Dezember 1992, als “Baixinho” in einem Länderspiel gegen Deutschland auf der Bank schmoren gelassen wurde und anschließend stänkerte, dass er mit diesem Wissen lieber gar nicht erst angereist wäre, hatte mit Carlos Alberto Parreira ein weiterer Trainer Romarios einfach mal die Schnauze voll. Und nominierte seinen besten Spieler fortan nicht mehr.

Eine Entscheidung, die Parreira auf die Füße fallen sollte. Die Selecao tat sich in der WM-Qualifikation unglaublich schwer, drohte das Turnier 1994 in den USA zu verpassen. Die öffentlichen Rufe nach Romario waren so laut und die Lage vor dem letzten Qualifikationsspiel gegen Uruguay so brenzlig geworden, dass der Trainer den Spieler bekniete, doch wieder mitzuspielen. Eine WM ohne Brasilien, das ohnehin seit über 20 Jahren auf den Titel wartete? Undenkbar.

Wohl weniger, um seinem Coach aus der Patsche zu helfen, sondern eher mehr, um sich zum umjubelten Helden aufschwingen zu können, kam Romario der Bitte nach. Und damit der seines ganzen Landes. Der 27-Jährige ging damals gerade in die Saison seines Lebens. Romario war zum FC Barcelona gewechselt, hatte dort 30 Liga-Tore versprochen und die ersten drei schon am ersten Spieltag beim 3:0-Sieg über Real Sociedad geliefert. Vor dem Showdown gegen Uruguay, den Brasilien nicht verlieren durfte, kündigte er vollmundig an, seiner Mannschaft das Spiel zu gewinnen – intern sprach er diesmal von zwei Toren.

Weit mehr als ein Mittelstürmer

Das Spektakel im Maracana begann – und Romario legte los, als hätte er ein paar verpasste Jahre Nationalmannschaft nachzuholen. Der Mittelstürmer ließ sich fallen, kombinierte, dribbelte, leitete ein, war nicht zu greifen. Immer wieder setzte er sich geschickt in Szene oder spielte sich die Torchancen einfach selbst heraus. Eine Show bekam Brasilien geboten, Tore noch nicht. Beim Abschluss war Romario zu unkonzentriert, er stand sich quasi ein wenig selbst im Weg.

Zur Pause stand es 0:0, in der Kabine fragten die ersten Mitspieler bereits nach, wo denn die versprochenen Tore bleiben würden, doch an diesem 19. September 1993 war das Drehbuch bereits geschrieben. In der 72. Minute setzte sich Romario nach einem Gegenangriff schließlich ab und köpfte den Ball nach einer Flanke von Bebeto durch die Beine des Torhüters in die Maschen. Viel mehr “Hier bin ich” konnte der folgende Torjubel nicht ausstrahlen. Das Maracana tobte ein erstes Mal.

Romario nutzte weiterhin nicht jede Chance – einmal traf er sensationell die Latte -, doch es gab davon so viele, dass das nicht ins Gewicht fiel. Nach 81 Minuten schoss der Mann mit der Rückennummer 11 die wohl extremste Version eines Tores, das er über die Jahre perfektioniert hatte: Im Eins-gegen-eins legte Romario den Ball so frühzeitig und so weit am herauskommenden Torhüter vorbei, dass er – während der zu Boden gegangene Keeper Robert Siboldi vergeblich hinterherkrabbelte – die Kugel fast schon von der Grundlinie aus ins verwaiste Tor schob. Und ab zu den Fans.

Der verlorene Sohn hatte sein Versprechen gehalten und Brasilien mit einem 2:0-Sieg zur WM 1994 geschossen, für die Trainer Parreira in Aussicht stellte: “Wir werden Weltmeister – wenn Gott und Romario es wollen.” Über Gott ist an dieser Stelle nichts überliefert, aber Romario wollte. Mit fünf Turniertreffern – viermal schoss er das 1:0 – und einem verwandelten Elfmeter im Finale gegen Italien führte “Baixinho” die Selecao nach 24 Jahren Wartezeit zum vierten WM-Titel. Nur einige Wochen, nachdem Barca dank genau 30 Romario-Toren Meister geworden war.

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