War die letzte große Performance des Zinedine Zidane – im WM-Viertelfinale 2006 gegen Titelverteidiger Brasilien – wirklich so überragend? Eine Analyse.
Taucht man etwas tiefer in die Welt der Leute ab, die reine fußballerische Leistungen komplett isoliert betrachten wollen, findet sich ein ganzes Lager an (Hobby-)Analysten, das “Zizou” aus heutiger Sicht für überschätzt hält. Das hervorhebt, dass der dreimalige Weltfußballer jenseits großer Momente und seiner atemberaubenden Ballbehandlung zu häufig ineffizient und selten wirklich konstant spielte – und dass er seinen Teams durch den Fokus auf ihn teilweise sogar ein Hindernis war.
Ehe ich vorhabe, diese Thesen in der mittelfristigen Zukunft selbst ausführlicher zu beleuchten, habe ich mich in Gänze mit Zidanes wahrscheinlich umjubeltsten Auftritt auseinandergesetzt: dem WM-Viertelfinale 2006 gegen Titelverteidiger Brasilien.
Was war Zidanes Rolle?
Raymond Domenechs Frankreich spielte mit Ball in einer klaren 4-2-3-1-Grundformation. Vor dem horizontaler agierenden Claude Makelele und dem vertikaler agierenden Patrick Vieira auf einer Art Doppelsechs gab Zidane eine ziemlich klassische Nummer zehn.
Als solche bewegte sich Zidane ohne Ball viel zwischen den Linien, wo er größtenteils erfolgreich versuchte, permanent anspielbar zu sein – das aber häufig tiefer als im Zehnerraum, um sich einer angedeuteten (wechselnden) Manndeckung zu entziehen. Hin und wieder lief Zidane auch als zweiter Stürmer in die Spitze vor – doch durch diese, wie auch durch die zuvor genannte Variante litten teilweise die Abstände zwischen Mittelfeld und Angriff.
Vor Makelele und Vieira, die beide große Rollen im Aufbau übernahmen, war es Zidanes Aufgabe, mit kreativen, öffnenden Pässen die französischen Angriffe ins oder im letzten Drittel einzuleiten. Außerdem verschob er regelmäßig in ballferne Halbräume für Verlagerungen. In ballnahen Halbräumen sorgte er für meist clevere Überzahlsituationen, aus denen mehrere Chancen entstanden. Den klassischen Ballschlepper, der er in früheren Phasen seiner Karriere häufiger war, gab der ältere Zidane (in diesem Spiel) hingegen kaum.
Gegen den Ball, wo der 34-Jährige von einer größeren Rolle befreit und nicht immer aufmerksam war, verschob Zidane hauptsächlich, um naheliegende Passwege zuzustellen. In unmittelbarer Ballnähe ging der Virtuose gelegentlich aber auch in direkte Zweikämpfe – mit gemischtem Erfolg. Bei gegnerischen Ecken stand er zumeist am ersten Pfosten.

Was war es für ein Spiel?
Mindestens so sehr wie Frankreich das Viertelfinale mit 1:0 gewann, hat Brasilien es verloren. Die zahlreichen Offensivstars einer unausgewogenen Selecao enttäuschten, am gravierendsten war der nötige Umbruch auf den in beide Richtungen wichtigen Außenverteidigerpositionen zu erkennen: Roberto Carlos und Cafu hatten mit Franck Ribery und Florent Malouda große Probleme und konnten selbst kaum etwas zum Angriffsspiel des Titelverteidigers beitragen.
Ein Jahr zuvor, beim überzeugenden Confed-Cup-Triumph, hatten auf diesen Positionen noch die wesentlich jüngeren Gilberto und Cicinho geglänzt.
Brasilien begann in der Anfangsviertelstunde gut und mit Offensivdrang, biss sich aber schon in dieser Phase an der starken französischen Abwehr die Zähne aus. Anschließend dominierte Frankreich – vor allem im qualitativ wie quantitativ überlegenen Mittelfeld (4-2-3-1 gegen ein zu weites, undiszipliniertes 4-Raute-2 mit schlechter Raumaufteilung) – größtenteils nach Belieben.
Offensiv agierten die Franzosen allerdings selbst nicht überragend. Sie kamen erst durch einen Standard zum Torerfolg und mussten in den letzten Minuten – Ronaldo drehte etwas auf – noch einmal zittern. Unterm Strich aber ein logischer und hochverdienter 1:0-Erfolg Frankreichs.
Gewann Frankreich wegen Zidane?
Jein. Der Schlüssel zum französischen Sieg war eher die starke Viererkette Willy Sagnol, Lilian Thuram, William Gallas und Eric Abidal – sowie die Kontrolle im zentralen Mittelfeld durch Makelele und Vieira. Daher ließ Frankreich kaum etwas zu. Zu einem Sieg gehören aber zwangsläufig auch Tore. Und das einzige Tor des Spiels kreierte Zidane.
Zunächst – unmittelbar im Vorfeld hatte er den Ball bekanntermaßen über Ronaldo gehoben – half Zidane in einleitender Funktion, in brauchbarer Position einen Freistoß herauszuholen. Anschließend reagierte er schnell, nachdem er gesehen hatte, dass sich Roberto Carlos lieber die Stutzen richtete und Thierry Henry am zweiten Pfosten ungedeckt einlaufen konnte. Die Ausführung des Freistoßes, der zur entscheidenden Vorlage wurde, war herausragend.
War Zidane der beste Spieler auf dem Platz?
Ja, gefolgt von seinen Mittelfeldkollegen Vieira und Makelele. Selbst ohne die ästhetische Berücksichtigung seiner herrlichen Finten und Dribblings war Zidane nach überraschend unauffälligen 20 Minuten nicht mit großem Abstand, aber dennoch ohne großen Zweifel bester Mann auf dem Platz.
Entgegen mancher Vorwürfe, die er sich anhören muss, machte “Zizou” das Spiel schnell, dirigierte die Angriffe seiner Mannschaft sinnvoll, und initiierte mit Dynamik in den richtigen Momenten sowie sauberen Steilpässen diverse Halbchancen und vier Chancen des kommenden Vizeweltmeisters – sowie die entscheidende Vorlage.
Auf engem Raum und unter Druck war er gewohnt ball- und passsicher, manchmal aber – nicht untypisch – schlampig bei der Ballannahme. Auch wenn Zidane nach der Führung (57. Minute) immer wieder überlegt entlastete und Umschaltmomente ankurbelte, sowie durch einen starken Laufweg beinahe das 2:0 geschossen hätte, spielte er (dreimal zu Beginn auf Henry, einmal im Konter in der heißen Schlussphase) vier schlechte Steilpässe, durch die es nicht zu weiteren Großchancen kam – und die ein perfektes Spiel der Legende “verhinderten”.
Fazit
Highlight-Videos auf YouTube täuschen nicht – zumindest nicht, was die Leistung Zinedine Zidanes im Viertelfinale der WM 2006 gegen Brasilien betrifft. Die sehenswerten Einlagen spiegeln seine Klasse, Intelligenz und spielerische Überlegenheit wider, durch die Zidane dem Spiel auch mit weniger spektakulären Aktionen seinen Stempel aufdrücken konnte. Das einzige Tor des Spiels war ein Werk aus seiner Feder.
Die berühmten Finten und Dribblings aus dieser Partie waren zwar noch einmal etwas großartiger als die Performance in ihrer Gesamtheit, dennoch gelang es Zidane – in einem Team, das im Verbund glänzte, aber gleichzeitig etliche überragende Einzelspieler hatte – eindeutig hervorzustechen.
Wegen der ein wenig bedenklichen, schließlich jedoch folgenlosen Streuung bei den Schlüsselpässen dachte meine Wenigkeit bei der Bewertung zwar über die Note 1,5 zumindest nach, hat sich am Ende aber mit reinem Gewissen für die glatte 1 entschieden.
Wahrhaftig der letzte große Tanz des Zinedine Zidane.
Ein Gedanke zu „WIE GUT WAR ZIDANE GEGEN BRASILIEN (2006)?“