Vinnie Jones: DIE AXT

Gab es je einen schöneren Spitznamen für einen Fußballer? Hätte es einen treffenderen für ihn gegeben, den Anführer von Wimbledons “Crazy Gang”? Schaurig-herrliche Geschichten über Vinnie Jones, der auch einfach Mensch ist:

Steigen wir ein wie die einstigen Gegner des FC Wimbledon. Was erwartet uns? Wir stehen in einem dämmrigen Spielertunnel und warten auf eine Mannschaft, die aus blanker Ehrfurcht nur Crazy Gang gerufen wird. Ihre Spieler werfen Massagebänke durch die Kabine und brüllen ihre Widersacher schon nieder, bevor sie in den letzten Gang Richtung Spielfeld abbiegen.

Bobby Gould, der Trainer des kleinen, simpel denkenden Aufsteigers, macht nicht einmal einen Hehl daraus, traditionell englisches ‘Kick and Rush’ sehen zu wollen – wozu auch feine Spielkultur? Und wenn dir schon dein Coach vorgibt, den Gegner “niederzutreten, wenn er an dir vorbeigeht” – wer sagt dir dann etwas anderes?

Anführer der Crazy Gang ist Abräumer Vinnie Jones. Weil er sie am meisten verkörpert. “Ich reiß’ dir den Kopf ab und scheiß’ dir in den Hals”, zischt er selbst Liverpool-Ikone Kenny Dalglish zu. Und das ist verhältnismäßig angenehm, die 90 Minuten auf dem Platz stehen ja erst noch an.

Zur Strafe in die Oper

Jones ist Jahrgang 1965 und Waliser. Stolzer Waliser. Als “walisische Schwuchtel” wurde er zu Schulzeiten auch einmal bezeichnet, dafür verlor der andere Junge aber acht Zähne. Seine cholerischen Anlagen fütterte Vinnie stetig selbst, weil er den Alkohol für unglaublich hilfreich erachtete, um die Trennung seiner Eltern zu verarbeiten. Er sagt, dass er früh wusste, wie er sich durchsetzen konnte. Mehr als das. Eigentlich war Jones ein isolierter Psycho. “Let’s fucking kill them”, schrie er durch den Tunnel, ehe er sich, wie beschrieben, noch ein wenig romantischer an einzelne Spieler wandte.

Dass sich Jones und die Crazy Gang tatsächlich mit den Spitzenteams der First Division messen konnten, war zunächst einmal Kampf und Willen zuzuschreiben. Und manch exotischer Motivation. Der andere starke Kopf in Wimbledons Vereinsführung war ein libanesischer Geschäftsmann namens Hammam, der seine Spieler zur Strafe in die Oper schickte, als Belohnung aber exzessive Kneipengänge aussetzte. Ein Mann, der “Wir müssen uns mit schierer Kraft durchsetzen” deklarierte, aber auch “Bevor wir absteigen, gibt es eine Blutspur von hier bis nach Timbuktu”.

Pokalsieger 1988: Wimbledons “Crazy Gang”. – Bild: wimbledonlivefinal.blogspot.com

Nach diesem Motto ging die fußballerisch limitierte Truppe mit Freude zu Werke, und es war “hässlich, aber verdient”, dass der damalige Serien-Aufsteiger auch in der ersten Liga gar nicht so schlecht abschnitt. Auf ihre Weise konnte die Crazy Gang mehr als mithalten, sie sollte sogar den einen großen Erfolg feiern – und Haudegen Jones trug entscheidend dazu bei.

Das FA-Cup-Finale 1988 war ein Duell der absoluten Gegensätze: Wimbledons Crazy Gang gegen Liverpools “Culture Club”, der in diesem Jahr die wohl beste Mannschaft Europas stellte und einen eher traumwandlerischen Spielstil verkörperte. Fußballkunst in einem hooliganistisch verseuchten Jahrzehnt, in dem England selbst in der Nationalmannschaft keinen großen Nutzen aus seinen feinsten Fußballern wie John Barnes oder Glenn Hoddle schlagen konnte.

Daher hatte auch Liverpool einen Steve McMahon. Eine gefürchtete Kante, die Gegenspielern gerne weh tat. Auch seine Präsenz machte die Dominanz der Reds aus. Und wer ist bitte Wimbledon? Schon in der zweiten Minute des Endspiels sägte Jones McMahon mit Ansage derartig um, dass das beim Favoriten nicht nur sinnbildlich eine große Wirkung hinterließ. Wimbledon gewann auf Wimbledon-Art tatsächlich mit 1:0, der einzige Titel in Jones’ Karriere. Die McMahon-Szene – eine von vielen, die ihn dennoch zur Kult-Figur werden ließen.

Einmal sah Vinnie schon nach drei Sekunden Gelb. Er zerdrückte Paul Gascoigne die Familienplanung, einfach, um ihn abzuschrecken. Er bedrohte seinen Trainer mit einer Flinte, um sicherzugehen, auch wirklich in der Startaufstellung zu stehen. Er biss einem Journalisten fast die Nase ab. An Jones’ erstem Tag in Leeds forderte ein neuer Mitspieler vom Waliser (“Ich kann gar nicht Fußball spielen”) Pässe in den Fuß – und wurde daraufhin verprügelt. 1992 veröffentlichte Jones das “Soccer’s Hard Men”-Video, in dem er sich und Gleichgesinnte mit passenden Spielausschnitten glorifizierte – es folgten mehrere Monate Sperre.

Guy Ritchie, ein risikofreudiger Filmemacher, gab dem abseits des Rasens unentschlossenen Jones nach seiner aktiven Laufbahn die mindestens interessante Chance auf eine zweite Karriere. Mit unerwartetem Erfolg. Ritchie sagte später: “Sollte hier mal eine Atombombe explodieren oder sonst etwas Schlimmes passieren, hätte ich Vinnie gerne an meiner Seite.” Kurios: Jones, der nach klischeehaften Anfängen zwischenzeitlich auch etwas bedeutendere Rollen bekam, spielte in ‘Mean Machine’ nicht nur einen abgestürzten ENGLISCHEN Star-Kicker, dieser war auch noch Spielmacher. Eine Nummer zehn. Der Abräumer Vinnie Jones.

“Ich dachte, dass die Jungs immer da sein würden”

2013 gab er zu, regelmäßig einen Psychiater aufzusuchen. Und er fragte sich offen, wie sein Leben wohl verlaufen wäre, wenn er diese Entscheidung schon 40 Jahre früher getroffen hätte. Vincent Peter Jones ist kein übler Kerl, sagen viele, die ihn kennen. Er habe sich geändert.

“Das Problem war, dass die Jungs sich geändert haben. Ich dachte, dass die Jungs, mit denen ich Fußball spielte, mit denen ich trank, mit denen ich kämpfte, immer da sein würden. Aber Menschen verlieben sich, bekommen Kinder. Es dauerte lange, bis ich begriff, dass es nicht immer so sein würde. Es dauerte lange, bis ich erwachsen wurde.”

So klingt ein Geläuterter, der endlich im Leben angekommen ist. Besser spät als nie. Doch nur kurze Zeit später erkrankten er und seine Frau beide an Hautkrebs. Wenigstens er konnte ihn besiegen. Mit schierer Kraft. Ein Vinnie Jones weiß, wie man sich durchsetzt.

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