Erling Haaland hat jetzt schon mehr Tore in der Champions League erzielt als der brasilianische Ronaldo. Warum?
Die Blütezeit von “Il Fenomeno” lässt sich ziemlich klar in zwei Phasen aufteilen: Vor den beiden schweren Verletzungen und danach. Sein erstes Champions-League-Spiel bestritt Ronaldo allerdings in der Saison, die eine kleine Ausnahme zwischen diesen Phasen darstellt.
Am 16. September 1998 unterlag der damals knapp 22-Jährige mit Inter Mailand bei Titelverteidiger Real Madrid mit 0:2. Es lief die Saison 1998/99 – bereits die zweite, in der das Phänomen verletzungsbedingt keine 20 Ligaspiele bestreiten konnte.
1999 bricht er zusammen
Neben den Auswirkungen aller eingesteckten Tritte und denen der vermuteten Steroid-Behandlungen war Ronaldo nach der hohen Belastung seiner herausragenden Jahre 1996, 1997 und 1998 auch mental ausgelaugt, speziell nach der WM in Frankreich.
1999 wurde er zwar Torschützenkönig beim Triumph bei der Copa America, landete im Ballon-d’Or-Ranking allerdings nur auf Platz 23. Denn 1999 war auch das Jahr, in dem sich “R9” so richtig schwer verletzte – und schließlich als veränderter Spieler zurückkehren sollte.
Seine erste CL-Saison 1998/99 – die einzige vor den zwei langen Pausen, die aber gleichzeitig ein kleiner Durchhänger war – hatte er mit lediglich einem Treffer aus sechs Spielen beendet. Hat man den “wahren” Ronaldo, der in seiner Überform für viele als einer der besten Spieler der bisherigen Geschichte gilt, also nie im Europapokal bestaunen dürfen?
Bezogen auf die Champions League ist das leider zu bejahen – aber es gab ja nicht nur die Königsklasse: Für die PSV Eindhoven, Ronaldos erste Station in Europa, schoss er im UEFA-Cup zwischen 1994 und 1996 in sieben Spielen neun Tore – noch heute berühmt ist sein Drei-Tore-Auftritt als 17-Jähriger gegen Bayer Leverkusen.
Ein Mann für die Endspiele
Nach seinem Wechsel zum FC Barcelona im Sommer 1996 und der Entwicklung zum besten Spieler der Welt folgten fünf Tore in sieben Spielen im Europapokal der Pokalsieger – auch das 1:0 im Finale gegen Paris Saint-Germain schoss Ronaldo.
In einer Zeit, in der die Ausgewogenheit der Europapokale noch weitaus größer war als in der Champions-League-fixierten Gegenwart – und das Gefälle zwischen Spitzenklubs und dem Rest noch deutlich geringer -, gewann er auch in der Folgesaison einen Titel: den UEFA-Cup mit Inter Mailand. Im Endspiel gegen Lazio lieferte Ronaldo eine seiner besten Leistungen überhaupt ab und schoss sein sechstes Tor im elften Spiel. In der herausragenden Phase seiner Karriere war er auch ein herausragender Europapokalspieler.
20 Tore in 25 Spielen – und das in den 90ern, als wesentlich weniger offensiv gespielt wurde und daher auch weniger Tore fielen als zu Beginn der 2020er Jahre (Statistiken folgen später). Was auch noch zu Beginn der 2000er galt, als R9 im Trikot von Real Madrid 2002/03 – inklusive Dreierpack im Old Trafford – seine beste Champions-League-Saison spielte (sechs Tore und drei Vorlagen in elf Partien).
Kein Profiteur der “Galaktischen”
Der Spieler Ronaldo, der sein großes Comeback mit acht Toren beim WM-Triumph 2002 gefeiert hatte, war inzwischen aber ein anderer. Aus dem Supersprinter, der etliche Chancen und Abschlüsse durch seine Athletik und Dynamik selbst kreiert hatte, wurde eher ein Zielspieler, der seltener aus der Tiefe kam.
Was keine besonders produktive Rolle im äußerst heterogenen Team der “Galaktischen” war: Häufig hatten es gegnerische Defensiven verhältnismäßig leicht, den Mittelstürmer zu isolieren und dadurch kaltzustellen.
Und statt den 3,24 Toren pro Spiel, die in der CL-Spielzeit 2019/20 fielen, waren es 2003/04 nur 2,47. In neun Spielen traf der Brasilianer damals zumindest noch viermal – es war seine letzte Saison in der herausragenden Weltklasse. Es folgten nur noch drei Tore in 14 Partien zwischen 2004 und 2006, als sein physischer “Verfall”, den er teilweise selbst zu verantworten hatte, weiter fortschritt.
Unterm Strich stehen passable 14 Tore und zehn Vorlagen in 40 CL-Spielen für einen Ausnahmespieler, für den “passabel” eigentlich deutlich zu wenig ist – dessen aus heutiger Sicht enttäuschende Werte aber größtenteils zu erklären und zu ergänzen sind.
Dennoch lässt sich eine abschließende Erkenntnis nicht umschiffen: “Il Fenomeno” war zwar sehr wohl ein mindestens guter bis sehr guter Europapokalspieler, doch mit gerade einmal Anfang 20 hatte Erling Haaland schon jetzt mehr große Champions-League-Nächte als der legendäre Ronaldo.
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