Nicht viele deutsche Fußballer seiner Generation waren so begabt wie Wolfram Wuttke. Nicht vielen wollte man immer wieder vorwerfen, zu wenig daraus gemacht zu haben. Das konnte nicht gut gehen.
Natürlich hatte das Schlitzohr sofort eine Ausrede parat, für ihn war das ja pure Gewohnheit. “Aber vier gute!”, betonte Wolfram Wuttke einige Jahre nach dem Ende seiner aktiven Karriere, als er bei “Treffpunkt Betze” damit konfrontiert wurde, dass er tatsächlich bloß vier Länderspiele bestritten hatte. Bei vielen anderen seien es zwar 50 gewesen – “aber davon 49 schlecht”.
Der “Gassenjunge” in Wuttke sei einfach nicht auszutreiben gewesen, hatte der große Ernst Happel geklagt, als Wolfram, 1961 in den Gassen von Castrop-Rauxel geboren, Mitte der 80er Jahre beim damals großen HSV scheiterte. Nicht unbedingt aus sportlichen Gründen, obwohl er sich als Angreifer doch weniger wohlfühlte als in der Rolle des Gestalters mit den so dringend benötigten Freiheiten. Die ihn erst Hannes Bongartz in Kaiserslautern ausleben ließ.
Selbst Günter Netzer, Hamburgs erfolgreichen Manager, war “Wutti” in einem Trainingsspiel angegangen, womöglich noch benebelt von einer der zahlreichen Zechtouren mit seinem Seelenverwandten Dieter Schatzschneider. Das Duo produzierte ganze Sammelalben voller Anekdoten aus den süffigen Jahren des deutschen Fußballs, die Wuttke später je nach Publikum leugnete oder ausschmückte, der Unterhaltung wegen.
Vielleicht auch, um nicht in Vergessenheit zu geraten, denn seine Karriere hätte durchaus anders verlaufen können. Das fußballerische Genie genügte auch so für stolze 299 Bundesligaspiele, “Wolfram Wahnsinn” titelte der “kicker” aber sicher nicht zufällig.
Manchmal war Wuttke schon zu aktiven Zeiten erstaunlich reflektiert und selbstkritisch gewesen, hatte sein Mundwerk bei einem “Sportstudio”-Auftritt “vorlaut” und sich selbst als Hauptursache seiner wilden Karrierewellen genannt. Mal auf, mal ab. Selten konstant. Sicherlich ist er nicht immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen – ein bisschen zu spät in Gladbach, ein bisschen zu spät in Hamburg. Die Titel waren schon gewonnen worden.
Doch Wolfram hatte sich auch zu früh an die süßen Vorzüge der Behandlung eines Ausnahmetalents gewöhnt, das sämtliche Junioren-Nationalmannschaften durchlief. Dieses Problem hatte bereits in der Schalker Jugend begonnen, hatte seinem Charakter nur allzu sehr geschmeichelt. Ach, dem Wutti sehen wir das nach. Auch ein zweites Mal. Aber ein drittes Mal eben nicht.
Einer wie Basler – doch der erreichte mehr
Der fleischgewordene Außenrist – mein Gott, was für ein Außenrist – war eng verwachsen mit der fleischgewordenen Eskapade, der eigene Freiheitsdrang blieb ein nicht zu umschnibbelnder Gegenspieler. Die Sendung, in die “Treffpunkt Betze” den Ehemaligen nach Jahren in der Versenkung mal wieder eingeladen hatte, war ganz bewusst gewählt: Im Herbst 1999 hatte der FCK Mario Basler zurück auf den Betzenberg gelotst. Und wessen Sichtweise auf diesen Charakter wäre spannender gewesen als Wuttis?
Basler allerdings hatte Monate zuvor im Champions-League-Finale ein Freistoßtor geschossen, war 1996, wenn auch verletzt zum Zuschauen verdammt, Europameister geworden. Nach den obersten Regalen griff der 1,72 Meter kleine Wuttke vergeblich. Dabei hatte er sich, als Teamchef Beckenbauer ihn zwischen 1986 und 1988 viermal einsetzte, zumindest manchmal gegen Lothar Matthäus, Pierre Littbarski, Icke Häßler oder Olaf Thon behaupten können. 1988 gewann er (“Mein größter Erfolg”) mit der DFB-Auswahl Olympia-Bronze. Die EM prägten andere.
Und Wolfram Wuttke, Weltmeister 1990? Auch dazu kam es nicht. Wutti schaffte es selbst in Lautern, sich mit den wichtigsten Leuten zu verkrachen. Er sei ein Genie gewesen, doch hatte nicht damit umgehen können, urteilten herrlich ehrliche Fans bei “Treffpunkt Betze” in der “Fragenbox”, wo der Enddreißiger, der damals eine Beschäftigung beim FCK anstrebte, für all die Nebenschauplätze ordentlich sein Fett wegbekam. Da blitzte die Selbstkritik nur noch selten auf, wie fast alles bei Wolfram Wahnsinn eben nur selten aufblitzte.

Verdribbelt hat sich Wuttke, der von vergeudetem Talent nie etwas hören wollte, nicht auf dem Platz. Daneben jedoch ist ihm vieles entglitten, ist ihm der Spielball des Lebens immer wieder vom Außenrist abgerutscht. Die Beschäftigung beim FCK verflüchtigt sich – als er den Betze nach dem Basler-Talk ein zweites Mal verlässt, geht es wieder bergab. Wutti erkrankt an Krebs, sein Sportgeschäft geht insolvent, seine Frau geht auch. Die erhoffte Rückkehr in den Fußball, der ihn in jungen Jahren glänzen ließ, gelingt auch als Amateurtrainer nicht. Doch etwas anderes hatte er nie wirklich gelernt.
Auf sein Sprachorgan war immer Verlass gewesen, einige andere versagten 2015. Den Kontakt zu ehemaligen Mitspielern, die auf den Kumpel Wutti nie etwas kommen ließen, hatte er da schon abgebrochen. Arbeitslosengeld beziehend, vielleicht aus falscher Scham. Schatzschneider wollte helfen, rief immer wieder an, doch Wolfram Wuttke ließ das Telefon einfach klingeln. Er wurde 53 Jahre alt.